Ein bedeutender Fund: der Briefwechsel zwischen Hermann Hesse und Emil Molt, dem Begründer der Waldorfschule

Der eine war ein weltbekannter Literat. Der andere der Initiator einer Pädagogik, die sich weltweit verbreitet hat. Hermann Hesse und Emil Molt – der eine bleibt durch seine Romane unvergessen, der andere durch die Begründung der allerersten Waldorfschule in Stuttgart. Jetzt wurde Prof. Dr. Tomáš Zdražil auf ihren intensiven Briefwechsel aufmerksam und wertete ihn aus. Gemeinsam mit der fundierten Hesse-Kennerin Elke Schlösser, Dipl. Sozialarbeiterin und Fachbuchautorin zur interkulturellen Pädagogik, veröffentlichte er jetzt im Jahrbuch der int. Herman Hesse Gesellschaft die „Kindheits- und Jugenderlebnisse von Hesse und seine Freundschaft mit dem Schulbegründer und Hesse-Mäzen Emil Molt“.

Die Einzelheiten ihrer innigen Freundschaft waren bisher den allerwenigsten bekannt. Aufmerksam auf den Briefwechsel wurde der Professor für Waldorfpädagogik an der Freien Hochschule Stuttgart durch das Deutsche Literaturarchiv in Marbach. Hier haben sich in Hesses literarischem Nachlass mehrere Dutzend Briefe wie auch etliche Postkarten aus den Jahren 1915 bis 1931 erhalten, die bisher nur zu einem kleinen Teil veröffentlicht wurden und die das Verhältnis der beiden Freunde zueinander dokumentieren. „Dass Hesse eine Kenntnis der Anthroposophie Rudolf Steiners hatte, war mir bekannt, auch seine grundsätzliche Bekanntschaft mit Emil Molt, aber nähere Recherchen dazu waren bisher erfolglos geblieben“, sagt Prof. Dr. Tomáš Zdražil. Zum 100-jährigen Jubiläum der Waldorfpädagogik hatte er eine große Dokumentation der Gründung der ersten Waldorfschule in Stuttgart auf der Uhlandshöhe veröffentlicht. Jetzt liefern die neuen Quellen zusätzliche Erkenntnisse.

Dieser Briefwechsel gewährt einen tiefen und genauen Einblick: Emil Molt war es ein großes Anliegen, seinen Jugendfreund Hermann Hesse für die Unterstützung der Begründung der Waldorfschule zu gewinnen, darüber hinaus auch für eine großangelegte Kampagne, mit der 1919 die sozialen Verhältnisse in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg positiv beeinflusst werden sollten. Die beiden kannten sich bereits seit frühester Jugend – sie waren Schulkameraden in Calw gewesen. Der Unternehmer wurde zum Mäzen des Künstler-Freundes. Gern hätte er ihn als Unterstützer für die Öffentlichkeitsarbeit dieser neuen sozialen Bewegung gesehen und schrieb ihm Ende 1918: „Wir haben Arbeit in Hülle und Fülle, und freuen uns alle auf deine Mitarbeit“.

Doch Hesse konnte sich nicht dafür erwärmen, sich mit den Themen, auch vor allem der Pädagogik, näher zu beschäftigen. „Er misstraute erzieherischen Einflüssen so stark, wie er unter ihnen gelitten hatte“, beschreibt es Zdražil. Trotzdem war es Hesses Wunsch, dass sein Sohn Guido die Waldorfschule in Stuttgart besucht hätte und gratulierte dezidiert zur Schulgründung. Auch mit den sozialen Ideen Rudolf Steiners identifizierte er sich weitgehend. Selber befand er sich aber in einer tiefen persönlichen und familiären Krise. So blieb es bei kleineren Texten, die er dem Unternehmer-Freund zur Verfügung stellte.

„In diesen Briefen kann man dieser Freundschaft der beiden, ihren beiden so unterschiedlichen Charakteren, sehr nahe kommen“, betont Tomáš Zdražil. „Das Niveau Hesses, Briefe zu schreiben, ist dabei einfach ein Genuss. Und seine kleinen Aquarelle, mit denen er manche zusätzlich versehen hat, ebenfalls.“

Der Artikel, verfasst zusammen mit Elke Schlösser, „Hermann Hesse und seine Freundschaft mit dem Schulgründer und Hesse-Mäzen Emil Molt“, erschien im Hermann Hesse Jahrbuch, herausgegeben von Michael Limberg im Auftrag der internationalen Hermann-Hesse-Gesellschaft, Band 16, S. 139-156


11.6.2024
Freie Hochschule Stuttgart, Seminar für Waldorfpädagogik
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