Wenn die „Weisheit“ flöten geht

Der Kommentar zum Zeitgeschehen

von Jürgen Scherer*

Es gibt ja so Sprüche, die einen ein Leben lang begleiten, sei es weil sie „doof“ sind  oder weil sie sich als hilfreich rausstellen oder oder oder …
Einer von Ihnen lautet „Man wird so alt wie ’ne Kuh und lernt immer noch dazu“. Ich fand ihn eher hilfreich und habe Positives damit konnotiert; frei nach dem Motto „Neues und Taugliches fürs Leben dazu lernen ist immer gut“.

Allerdings wurde ich dieser Tage eines besseren belehrt, als ich im Nachrichtenwesen die Stimme eines Menschen vernehmen musste, den ich bislang eher als reflektiert friedensorientiert und dem Leben zugewandt in Erinnerung hatte. Gut, ein seltsamer Kauz war er schon immer in seiner nuscheligen durchaus liebenswerten Art und immerhin kannte er sich aus mit der „Andrea Doria“, fuhr mit ’nem „Sonderzug nach Pankow“ und stellte im Dienste von Zehnjährigen die lebenswichtige Frage „Wozu sind Kriege da?“ Die beantwortete dieser Barde aus Hamburg mit der lebenszugewandten Aussage sinngemäß mit den Worten: Lasst uns mit diesen Scheiß in Ruhe ihr Machtgeilen und ihr Kriegsgewinnler! Wir wollen leben!

Soweit, so vorbildlich und merkenswert. Warum dann diese vielen Worte um diese Nuschelikone der BRD, werden sich die geneigten LeserInnen dieser Zeilen fragen.
Weil dieser Herr sich doch tatsächlich dieser Tage in einem Interview mit RTL auf die Frage, wie er es denn mit Aufrüstung, Pazifismus, Verteidigungsfähigkeit halte, dazu verstieg zu antworten, Pazifismus sei eher was für die Zukunft und Aufrüstung und „der Scheiß“ derzeit nun mal nötig. So sei es eben nun mal.

Ich dachte, mich überrollt ein Leopard 2, als ich das mitbekommen habe. Mein Udo, mein Vorkämpfer für Liebe, Freiheit, Lebenslust kriegt plötzlich im 79ten Lebensjahr Muffensausen, dass die Russen kommen könnten und ihm Wodka statt Eierlikör aufzwingen werden? Hat denn dieser Eierlikördauerkonsum zu so viel Realitätsverlust bei ihm geführt, dass er bereit ist, all das Leid, das mit Kriegerei zusammenhängt, in Kauf zu nehmen? Ist ihm sein Eierlikörkonsum wirklich so lebenswichtig und lebenserhaltend, dass er bereit wäre, all die Lehren aus unserer Geschichte hintanzustellen und mit dafür einzutreten, dass wieder einmal eine Jugend dazu dienen soll, als zukünftiges Kanonenfutter für unselige Weltmachtambitionen der politisch-wirtschaftlich Verantwortlichen in unserem Land herzuhalten?

Wie dem auch sei, wenn ein Jugendidol sich selbst demontiert (noch dazu gesellschaftsgefährdend), geht es einem nun mal nicht gut. Eine Illusion weniger, aber durchaus auf dem Pfad des eingangs genannten Spruches über die Kuh.

Man ist geneigt, Caesar im Moment seiner Ermordung zu zitieren, als er erschrocken, verwundert und enttäuscht ausrief: „Auch Du, mein Sohn, Brutus!“ 


*Jürgen Scherer ist ehemaliger Lehrer für Geschichte und Politik an einer hessischen Gesamtschule und GEW-Mitglied. Er schrieb früher für das Magazin Auswege, jetzt für das GEW-MAGAZIN.
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