Manöver

Der Kommentar zum Zeitgeschehen

von Jürgen Scherer*

Manöver gibt es viele. 
Jede/r von uns kann etwas damit verbinden: Sei es eine militärische Übung zum Zweck der Sondierung der Fähigkeiten und Fertigkeiten des jeweiligen Truppenverbandes, sei es das umgangssprachlich  „Durchsichtige“, wenn uns jemand hinters Licht führen will, sei es das Ablenkungsmanöver, um jemanden von einer verfolgten Fährte abzubringen oder gewisse Zielpersonen zu verwirren, orientierungslos zu machen oder in eine bestimmte Richtung zu lenken.

Derzeit ist das zuletzt genannte „Ablenkungsmanöver“ en vogue. Wieso gerade das?

Weil der Kanzler unseres Landes mal wieder per Sigmund Freud sein wahres Ich offenbart hat und das nicht gerade gut ankommt. Hat er doch im Rahmen einer Pressekonferenz im Osten unseres Landes gemeint, der dortigen Rechtsaußenpartei den Rang ablaufen zu müssen, indem er das „migrationshintergrundsversiffte Stadtbild“ zur Chefsache machte und, anscheinend weil er die Verantwortung für seine rassistisch grundierte Aussage nicht allein übernehmen wollte, die „Töchter unseres Landes“ (so war seine Tochteraussage wohl gemeint, zumindest zu verstehen) zur Zeugenschaft aufgerufen hatte. 

Mit dieser, aus seiner Sicht wohl cleveren, Volte gedachte er eine allgemeine Empörung über die anerkannten und nicht anerkannten Asylbewerber in die Breite der Gesellschaft zu tragen und sich zugleich als der Richtige im Umgang mit dieser „Plage“ darzustellen.

Aber bei diesem Populismusvorhaben machte er die Rechnung ohne die Wirtinnen. Die Kronzeugenmädels wollten sich nicht für ein solch durchsichtiges Manöver missbrauchen lassen und sorgten für einen veritablen Shitstorm gegen den Kanzler und seine unqualifizierte und gesellschaftsspaltende Hetze.

Einen solchen Gegenwind kann aber weder der Kanzler noch seine im Osten unseres Landes mehr oder weniger abgehalfterte Partei derzeit gebrauchen, zumal nicht in bevorstehenden Landtagswahlzeiten.

Also wurde das altbewährte Mittel „Ablenkungsmanöver“ aus dem Köcher gezogen. 
In diesem Fall mit mindestens zwei Zielrichtungen. Ziel 1: Die Aussage des Kanzlers als gar nicht so schlimm dastehen zu lassen. Ziel 2: Andere „Kriegschauplätze“ aufmachen, um uns alle zu verwirren und glauben zu machen, dass der Kanzler doch gar nicht so falsch liegt mit seiner „Stadtbildäußerung“.

Das geht dann so: Zunächst einmal wird darauf verwiesen, dass selbst der Brandenburgische Ministerpräsident Woidke zustimmend genickt habe, als Kanzler Merz seine Äußerung vom Stapel gelassen habe. Eine bessere Zeugenschaft für Merzens Aussage könne es doch gar nicht geben. Schließlich sei Woidke erfolgreicher SPD Mann im afdbedrohten Osten. Schwupps ist die SPD mit im Populismusboot und der Kanzler steht nicht mehr alleine „nackt“ da…

Dann muss nur noch ein MP aus dem Westen das richtige Fass aufmachen und schon ist die Verwirrung in der Bevölkerung komplett und das populistische Gift kann subkutan weiter wirken.

Für solche „Amtshilfe“ aus dem Westen der Republik ist ein MP immer gut und allzeit bei Fuß: Der hessische Amtsinhaber Boris Rhein, ein guter Schüler seines Amtsvorgängers Bouffier. Immer ein Lächeln auf den Lippen und einen offenen freundlichen Blick; ein Mann, dem man vertrauen kann.

Er scharrt also mit den Hufen, richtet sich auf und verkündet mit ernster Miene: Wer meine, der Kanzler liege mit seiner Stadtbildäußerung falsch, möge sich nur mal vor Augen halten, wie Innenstädte heutzutage bei Veranstaltungen geschützt werden müssten.

Und alle haben sofort entsprechend schreckliche Terrorbilder vor Augen und nicken wissend mit dem Kopf. Die CDUgranden strecken den Daumen nach oben und gratulieren Herrn Rhein zu seinem Coup. Ausgerechnet dem MP, in dessen Bundesland ein „biodeutscher“ Attentäter im Stadtbild von Hanau einen mit unermesslichen Schmerz verbundenen Terrorakt an deutschen MitbürgerInnen mit „Migrationshintergrund“ verübt hatte.

Wie zynisch-vergesslich kann man noch sein, Herr Rhein oder scheint da auch eine entsprechend grundierte Menschensicht auf? Der Zweck heiligt eben die Mittel. Da sind die Gedenktage in Hanau auf einmal nicht mehr von Bedeutung. Ablenkmanöver heißt die Parole.

Aber zum Glück klappt selbst diese Art der populistischen Taktik nicht immer. 
Die jungen Frauen, die Töchter, die vom Kanzler als Manövriermasse in seinem fragwürdigen Umgang mit Menschen mit Migrationshintergrund in unserem Land eingesetzt werden sollten, ließen sich nämlich nicht beirren in ihrem Protest gegen des Kanzlers unzulässige Vereinnahmung für durchsichtige Partei- und Regierungspolitik.
 
Sie blieben bei ihrer „Überzeugungstat“ in Bezug auf den Kanzler: Rote Karte für Merz auf allen Kanälen! Ablenkmanöver hin, Ablenkmanöver her!

Sich kein X für ein U vormachen zu lassen, gehört schließlich zu einer der Grundtugenden mündiger BürgerInnen in einer demokratischen Gesellschaft.


*Jürgen Scherer ist ehemaliger Lehrer für Geschichte und Politik an einer hessischen Gesamtschule und GEW-Mitglied. Er schrieb früher für das Magazin Auswege, jetzt für das GEW-MAGAZIN.
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