Götz Eisenbergs Corona-Tagebuch 25: Zeit der Monster

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Götz Eisenbergs Corona-Tagebuch 25

Zeit der Monster

Gelegentlich erzählte Robert Walser seinem Vormund Carl Seelig auf ihren gemeinsamen Wanderungen von seinem Spitalaufenthalt. Einmal sagte er: „Es gefiel mir im Krankenzimmer ganz gut. Man liegt wie ein gefällter Baum da und braucht kein Glied zu rühren. Alle Wünsche schlafen wie vom Spielen müde gewordene Kinder ein.“ Wie bin ich Robert Walser für Sätze wie diese dankbar! Oder für diesen hier, der sich in den Bänden Aus dem Bleistiftgebiet findet: „Heute spielen sowohl Probleme wie hierzu passende seriöse Gesichter eine hervorragende Rolle.“

Bei der ganzen Lockerungsdebatte geht es im Kern um die Frage: Hat sich die Lage soweit entspannt, dass die Beschränkungen der Bewegungsfreiheit nicht mehr nötig sind? Oder wäre es aus epidemiologischer und virologischer Perspektive sinnvoll, den sogenannten Lockdown noch eine Zeit lang aufrechtzuerhalten? … weiter

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Götz Eisenbergs Corona-Tagebuch 24: Die Häutung der Schlange

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Götz Eisenbergs Corona-Tagebuch 24

Die Häutung der Schlange

Friedrich Hebbel notierte im August 1843 in sein Tagebuch: „Im allgemeinen haben meine Tagebücher freilich sehr geringen Wert: Zustände und Dinge kommen kaum darin vor, nur Gedanken-Gänge, und auch diese nur, soweit sie unreif sind. Es ist, als ob eine Schlange ihre Häute sammeln wollte, statt sie den Elementen zurückzugeben. Aber man sieht doch einigermaßen, wie man war, und das ist sehr notwendig, wenn man erfahren will, wie man ist.

Das ganze Leben ist ein verunglückter Versuch des Individuums, Form zu erlangen; man springt beständig von der einen in die andere hinein und findet jede zu eng oder zu weit, bis man des Experimentierens müde wird und sich von der letzten ersticken oder auseinanderreißen lässt. Ein Tagebuch zeichnet den Weg. Also fortgefahren!“ Der Abschlussaufforderung Hebbels an sich selbst werde ich mich anschließen: „Also fortgefahren!“ … weiter

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Götz Eisenbergs Corona-Tagebuch 23: Der Kirchturm ist weg

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Götz Eisenbergs Corona-Tagebuch 23

Der Kirchturm ist weg

Die meisten Menschen, sagte sie,
können der Wahrheit nicht ins Gesicht sehen.
Das ist sehr schlecht, denn sie geht davon nicht weg.“
(John Berger: Hier wo wir uns begegnen)

In dem schon angesprochenen Buch des britischen Autors Neil Ansell, der in der Nachfolge von Thoreau fünf Jahre in den walisischen Wäldern gelebt hat, bin ich auf eine Passage gestoßen, in der es um ein Thema geht, mit dem ich mich in letzter Zeit intensiv beschäftige habe: Mobilität. Und dem Zeitrhythmus, in dem sich das Leben abspielt und bewegt. Er beschreibt sein Leben im Cottage so: „Tagsüber verbrachte ich den Großteil meiner Zeit damit, meine Umgebung zu erkunden. Obwohl ich bei meinen Streifzügen gelegentlich auch etwas weiter vordrang, war das, was ich mein Heim nannte, im Grunde die Strecke, die ich zu Fuß vom Cottage und wieder zurück an einem Tag bewältigen konnte. Deshalb war mein Heim, mein Heimatgebiet, logischerweise im Sommer größer und im Winter kleiner und bestand grob gerechnet aus einem Umkreis von acht Kilometern um das Cottage herum.“

So verliefen seine Tage. Er führte ein einfaches Leben, das dem Rhythmus der Natur folgte statt den Anforderungen und Erwartungen anderer Menschen oder dem immer gleichen Rhythmus der entfremdeten Arbeit. … weiter

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Götz Eisenbergs Corona-Tagebuch 22: Mummenschanz

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Götz Eisenbergs Corona-Tagebuch 22

Mummenschanz

Noch immer ist strahlendes Frühlingswetter. Ich fahre mit dem Rad aus der Stadt heraus. Ich raste auf einer Bank. Im Gebüsch hinter der Bank singt eine Nachtigall, deren Repertoire unglaublich variantenreich ist und die das Leben bejubelt. Ich lausche ihr eine Weile. Eine Dame, die ihren Hund spazieren führt, redet auf mich ein. Die Leute haben unter der Kontaktsperre einen großen Redebedarf. Dann fahre ich weiter. Auf den weiten Feldern vor dem Kinzenbacher Forst stehen Feldlerchen in der klaren Luft und lassen ihr Trillern erklingen. Zwischendurch führen sie übermütig ihre Flugkünste vor. Ihre flatternd aufgefangenen Sturzflüge sind Teil der Balz. Über all diesen Vogelbeobachtungen liegt ein melancholisches Noch: Noch gibt es sie; wer weiß, wie lange noch? … weiter

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Götz Eisenbergs Corona-Tagebuch 21: Das Quaken der Frösche im Teich

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Götz Eisenbergs Corona-Tagebuch 21

Das Quaken der Frösche im Teich

„Er glich dem Blatt,
das ein Knabe mit der Rute
vom Zweig herunterschlägt,
weil es ihm als Vereinzeltes auffällt.“
(Robert Walser)

Ich sitze auf meinem angestammten Baumstamm und lese. Vor mir gründeln nun zwei Schwäne. Die Jungen scheinen geschlüpft und die Schwanenmutter, vom Brüten befreit, kann sich endlich wieder bewegen und selbst versorgen. Wie auf ein geheimes Signal hin fangen plötzlich die Frösche an zu quaken, alle auf einmal. Sie veranstalten ein unglaubliches Konzert. Ebenso unvermittelt, wie es begonnen hat, hört es auch wieder auf, und es ist danach plötzlich umso stiller.

Wann bekommen die Küken den ersten Schwimmunterricht? Mitunter transportieren Schwanenmütter ihre Jungen zunächst eine Weile auf ihrem Rücken, um sie an das neue Element zu gewöhnen. … weiter

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Götz Eisenbergs Corona-Tagebuch 20: Corona-Paranoia oder: Die Hölle, das sind die anderen

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Götz Eisenbergs Corona-Tagebuch 20

Corona-Paranoia oder: Die Hölle, das sind die anderen

In den letzten Wochen wurde ich verschiedentlich an das berühmte Sartre‘sche Diktum aus dem Theaterstück Bei geschlossenen Türen: „… die Hölle, das sind die anderen“ erinnert. Sartre dachte dabei nicht an die besondere Situation einer Epidemie, sondern an den Alltag in der bürgerlichen Gesellschaft, die jeden zum Folterknecht des anderen macht. Die Menschen sind gezwungen, in einem Universum permanenter Verteidigung und Aggression zu leben. Sie werden zu Konkurrenten und damit tendenziell zu „Gegenmenschen“.

Gestern, also am 15. April, hat Peter Sloterdijk im Arte Journal ein kurzes Statement zur Corona-Krise abgegeben. Die Gefahr einer Verstetigung der Grundrechtseinschränkungen sehe er in Deutschland eher nicht, sagte er. „Dein Wort in Gottes Ohr“, dachte ich. Sein Ur-Vertrauen in die Stabilität der deutschen Demokratie habe ich nicht. Was seiner Meinung aber sehr wohl zurückbleiben könnte, sei „ein leises Anwachsen des paranoiden Faktors im menschlichen Verhalten, weil man nach Epidemien daran denkt, dass der andere ein Ansteckungsherd sein könnte“. … weiter

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Götz Eisenbergs Corona-Tagebuch 19: „Corona hemmt die Produktion“

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Götz Eisenbergs Corona-Tagebuch 19

„Corona hemmt die Produktion“

Über realsozialistische und neoliberale Perversionen im Menschenbild

Heroisierung der Arbeiterschaft in der UdSSR

Ende der 1940er Jahre stieß Jean-Paul Sartre in Warschau auf Plakate, auf denen zu lesen war: „Die Tuberkulose hemmt die Produktion.“ Für ihn war das ein Beleg dafür, dass auch der Sozialismus an der Entfremdung der Arbeiter nichts geändert hatte und von einer Anthropologie durchdrungen war, in welcher der Mensch für die Produktion da sein sollte und nicht umgekehrt die Produktion für die Menschen. Die polnischen Arbeiter waren von der Herrschaft des Profits befreit worden, aber lediglich, um unter die Herrschaft einer fetischisierten Produktion zu geraten. Sie hatten die alte Entfremdung gegen eine neue Entfremdung eingetauscht. Für Sartre sollte der Sozialismus eine Gesellschaft sein, in der die Entwicklung des Menschen, und nicht die der ökonomischen Produktion das Hauptziel ist. … weiter

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Götz Eisenbergs Corona-Tagebuch 18: Zurück zum Gesundheitswesen!

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Götz Eisenbergs Corona-Tagebuch 18

Zurück zum Gesundheitswesen!

Was für ein Glück, dass wir den Heribert Prantl haben. Seit Jahrzehnten ist er eine zuverlässige Stimme der Vernunft. In der Osterausgabe der Süddeutschen Zeitung hat er eine Kolumne veröffentlicht, in der es um die Lehren geht, die aus der Corona-Krise für das Gesundheitswesen zu ziehen wären. Er erinnert daran, dass man in Deutschland seit 1985 damit begonnen hat, das Gesundheitssystem zu privatisieren. Seither wurden Krankenhäuser zu einem Geschäftsmodell, mit dem Gewinne zu erzielen sind. Aus dem Gesundheitswesen wurde peu à peu eine Gesundheitsindustrie. Mit allem, was dazu gehört: 30.000 Betten wurden abgeschafft, 50.000 Stellen, vor allem im Pflegebereich, gestrichen, Fallpauschalen eingeführt. Und nun werden unter Verweis auf die drohende Überlastung des Gesundheitssystems und fehlende Intensivpflegebetten unsere Grund- und Freiheitsrechte massiv beschnitten. Gut, dass die Leute ein derart kurzes Gedächtnis haben, sonst würden sie „denen da oben“ diese Begründung um die Ohren hauen. … weiter

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