Götz Eisenbergs Durchhalteprosa 48: Brüder der romantischen Verlierer

 

Götz Eisenbergs Durchhalteprosa 48

 

Brüder der romantischen Verlierer

„Aus der verdammten Tüchtigkeit entstehen Mordgedanken, weil der Mensch was anderes möchte als tüchtig sein, nämlich nichts als seinen Kopf in die Luft zu halten. So entsprach wenigstens ich diesem allgemeinen Wunsch“.

(Herbert Achternbusch)

In einer Geschichtsdokumentation über Burgen sah ich gestern eine gespielte Szene. Ein Diener betritt die Gemächer von Friedrich Wilhelm I. von Preußen und zeigt ihm seinen neugeborenen Sohn. Der sogenannte Soldatenkönig schenkt dem Ereignis keine besondere Aufmerksamkeit, sondern sagt lediglich: „Er soll Friedrich heißen. Bring er ihn wieder, wenn er exerzieren kann.“ Exerzieren musste ein preußischer Prinz früh lernen. In dieser kleinen Szene ist eigentlich bereits alles Weitere enthalten.

Der kleine Fritz wurde zum Opfer von Erziehungspraktiken, für die Katharina Rutschky den Begriff „schwarze Pädagogik“ geprägt hat. Der Vater wird irgendwann gewahr, dass sich der Sohn in eine Richtung entwickelt, die seinen Entwürfen für ihn zuwiderläuft: … weiter

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Götz Eisenbergs Durchhalteprosa 47: Kriegsfolgen

 

Götz Eisenbergs Durchhalteprosa 47

 

Kriegsfolgen

Aber man kann nur eine lebendige Gesellschaft verteidigen, und die Auflösung dieser Gesellschaft war schon zu weit fortgeschritten. Niemand glaubte mehr an irgend etwas, weil in Wahrheit nichts mehr möglich war …“
(Victor Serge)

Das, was mich bei der Lektüre von Victor Serges Buch Beruf: Revolutionär am meisten mitnimmt, ist, dass er seitenlang Menschen porträtiert, denen er während seines Aufenthaltes in der Sowjetunion begegnet ist, und jeweils am Schluss des Portraits steht: wurde 1936 oder 1937 erschossen. Und jeder dieser Erschossenen war ein Mensch. Serge schildert sie, weil er dankbar dafür war, dass sie gelebt haben und er sie kennenlernen durfte. „Der Mensch, wer auch immer er sei, und wäre er der letzte der Menschen, ‚Klassenfeind‘, Sohn oder Enkel von Bürgern, darauf pfeife ich; man darf nie vergessen, dass ein Mensch ein Mensch ist. Hier unter meinen Augen, überall, wird das jeden Tag vergessen, das ist das Empörendste, das Antisozialistischste, das es gibt.“ … weiter

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Götz Eisenbergs Durchhalteprosa 46: Krieg liegt in der Luft

 

Götz Eisenbergs Durchhalteprosa 46

 

Krieg liegt in der Luft

„Das Mysterium, das wir für einen kurzen Moment auf diese Erde gesetzt und dann wieder ersetzt werden, treibt mich an. Im Grunde habe ich nie über etwas anderes geschrieben.“
(Paul Auster)

Victor Serge kommt 1919 in die junge Sowjetunion und schließt sich den Bolschewiki an, obwohl er politisch eher dem Anarchosyndikalismus zuneigt, den er in Barcelona und in Frankreich kennengelernt hatte. Wenig später trifft er Sinowjew, den Präsidenten des Petrograder Sowjets. Dieser fragt Serge nach dem Bewusstseinsstand der Massen in den westlichen Ländern. Die gerade gegründete Dritte Internationale hatte zu diesem Zeitpunkt noch ein virulentes Interesse an der Ausdehnung der Revolution auf die Zentren des Kapitalismus in Westeuropa, ohne deren Erfolg das Experiment, den Sozialismus in einem industriell kaum entwickelten Land aufzubauen, keine Chance haben würde.

Serge antwortet, „dass ungeheure Ereignisse heranreiften, aber allmählich, inmitten von Unfähigkeit und Unwissenheit, und dass, besonders in Frankreich, in absehbarer Zeit keine revolutionäre Erhebung zu erwarten sei. Sinowjew lächelte mit einer Miene wohlwollender Überlegenheit: ‚Man sieht, Sie sind kein Marxist. Der Gang der Geschichte ist unaufhaltsam.‘ “… weiter

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Götz Eisenbergs Durchhalteprosa 45: Wer ist schuld an mir?

 

Götz Eisenbergs Durchhalteprosa 45

 

Wer ist schuld an mir?

Die Götter sind verschwunden, wir sind der Natur völlig egal und wir sind allein im Kosmos. Und doch haben wir eine moralische Verpflichtung, uns umeinander zu kümmern und in der menschlichen Solidarität Bedeutung zu finden.“
(Paul Auster)

Gestern Abend sah ich eine Wissenschaftssendung, in der auf die Bedeutung von Seegraswiesen für die Aufrechterhaltung des ökologischen Gleichgewichts hingewiesen wurde. Sie bänden jede Menge Kohlenstoff und wären ein wichtiger Faktor im Kampf gegen den Klimawandel. Der Naturbezug, der in dieser Argumentation zutage tritt, ist genauso instrumentell wie jener, der in einer alten Eiche nur Festmeter Holz für die Möbelindustrie erblickt. Die Seegraswiese hätte ihr Recht, auch wenn sie zu nichts nutze und einfach nur da wäre. Die Natur besitzt ihre eigene Würde, die zerstört, wer sie zum Mittel für fremde Zwecke macht – selbst wenn es der Zweck wäre, den Planeten zu retten. … weiter

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Götz Eisenbergs Durchhalteprosa 44: „Nulla dies sine linea“

 

Götz Eisenbergs Durchhalteprosa 44

 

„Nulla dies sine linea“

„Es muss eine unerhörte Zeit gewesen sein, als man sich füreinander interessierte.“
(Wilhelm Genazino)

Heute wurde bekannt, dass der Verleger Klaus Wagenbach am 17. Dezember gestorben ist. Ich bin ihm im Laufe der Jahrzehnte immer mal wieder begegnet. Einmal habe ich mit meinem Freund Lothar Baier, dessen Bücher Klaus Wagenbach verlegte, den Stand des Verlages auf der Buchmesse besucht, und wir haben eine Weile mit ihm geredet und ein Glas Rotwein getrunken. Auch Peter Brückners Bücher sind all die Jahre bei ihm erschienen. Mein in Berlin lebender Freund Claus berichtet, dass er im Radio im Laufe des heutigen Tages eine Meldung über den Tod Wagenbachs gehört habe, die mit dem Hinweis verbunden war: „Seine besondere Liebe galt Franz Kafka, bei dem er promoviert hatte.“ Das müsse, so hofft er, nicht kommentiert werden. … weiter

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Götz Eisenbergs Durchhalteprosa 43: Von der Anstrengung, auf der Höhe seines Zorns zu leben

 

Götz Eisenbergs Durchhalteprosa 43

 

Von der Anstrengung, auf der Höhe seines Zorns zu leben

„Kränkungen sollten in den Sand geschrieben werden,
anerkennende Worte als Inschrift auf Marmor.“
(John Berger)

Es geht mir schlecht heute, oder zumindest nicht gut. Nicht wegen der dritten Impfung, die ich letzten Freitag bekommen habe. Die hat mir einen Tag Kopfschmerzen beschert, sonst war da nichts. Nein, ich habe in letzter Zeit mehr und mehr das Gefühl, an einem Mangel an Alternativen zu ersticken. Die Wege zu einer vernünftigen Einrichtung der Gesellschaft erscheinen verrammelt und vernagelt. Ich leide am Scheitern unserer politischen Bemühungen und dem Verlust der öffentlichen Dimension meiner Existenz. Nächstes Jahr muss ich meine Versuche intensivieren, wieder mal Diskussionszusammenhänge herzustellen. Im Alter wächst die Gefahr der Entgesellschaftung und Vereinsamung. … weiter

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Götz Eisenbergs Durchhalteprosa 42: Weniger Fortschritt wagen!

 

Götz Eisenbergs Durchhalteprosa 42

 

Weniger Fortschritt wagen!

„… ein Strohhalm im Rad der Apokalypse.“
(Mathias Enard)

Ende November. Das Wetter passte zum Totensonntag. Es war trüb und neblig. Ab und zu nieselte es aus einem wolkenverhangenen Himmel. Wir gingen trotzdem spazieren. Ins Krankenhaus zu Us Schwester mochte ich dann aber nicht mehr mitkommen. Das war mir dann doch zu viel am Totensonntag.

Aus Gründen, die nur die Hirnantilope kennt, fiel mir eine Passage aus Camus‘ Mythos des Sisyphos ein. Sie lautet: „Wenn es jedoch schwierig ist, den genauen Zeitpunkt, den winzigen Schritt zu bestimmen, da der Geist auf den Tod gesetzt hat, so ist es leichter, aus der Tat selbst die Folgerichtigkeit zu erschließen, die sie voraussetzt.“ Ich interpretiere Camus so: Nachdem die Katastrophe eingetreten ist, scheint alles einer Logik zu folgen, die auf das Ereignis die ganze Zeit über zusteuerte. …weiter

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Götz Eisenbergs Durchhalteprosa 41: Corona-Lemminge

 

Götz Eisenbergs Durchhalteprosa 41

 

Corona-Lemminge

„Der Staat bildet sich in den Leuten ab. Der Staat ist nicht nur ein äußeres Gebäude, in dem man sich zwangsläufig entweder glücklich oder unglücklich fühlt, sondern er zieht in die Leute ein. L‘etat c‘est moi, bis zu den unteren Ebenen. Wir sind ja alle der Staat. Das ist nicht eine äußere, feindliche Erscheinung, sondern der Staat ist ja wirklich in uns.“
(Thomas Brasch)

Seit dem frühen Tod meiner Mutter fühle ich mich wie ein Schwarzfahrer im Zug des Lebens. Ich verlor die Rechtfertigung meiner Existenz, mein Mandat zu leben, und fürchte seither ständig das Auftauchen eines Fahrkartenkontrolleurs. Nur schreibend konnte ich meine Anwesenheit im Zug rechtfertigen und nachträglich einen Fahrschein lösen. Ganz sicher bin ich mir bis heute nicht, ob dieser Fahrschein Gültigkeit besitzt und akzeptiert wird. Die Kindheitsgefühle der Ziellosigkeit und des Überflüssigseins konnte ich durchs Schreiben nie ganz abschütteln, zumal meinem Schreiben die gesellschaftliche Anerkennung versagt blieb. Auch als Schreiber ist mein Ort das Abseits. Wie bin ich Sartre dankbar für die Beschreibung seines und meines Lebensgrundgefühls als blinder Passagier. … weiter

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