GEW: „Soziale Spaltung im Schulwesen überwinden!“

Bildungsgewerkschaft GEW zum Deutschen Schulbarometer der Robert-Bosch-Stiftung: „Gelder nach Sozialindex verteilen“

Frankfurt a.M. – Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) mahnt mit Blick auf die wachsende, durch die Pandemie verschärfte soziale Spaltung in Deutschland rasche und nachhaltige Unterstützung insbesondere für Brennpunktschulen sowie benachteiligte Kinder und Jugendliche an. „Die sozialen Probleme, die viele Kinder ohnehin schon haben, werden in besonders belasteten Schulen in der Corona-Pandemie verdoppelt und verdreifacht. Das darf sich ein reiches Land wie Deutschland nicht leisten“, sagte GEW-Vorsitzende Maike Finnern in einer ersten Reaktion auf die Ergebnisse des heute veröffentlichten Deutschen Schulbarometers der Robert-Bosch-Stiftung. „Nach den Corona-Maßnahmen brauchen wir jetzt dringend ein soziales und pädagogisches Maßnahmenprogramm, das diesen Fehlentwicklungen nicht kosmetisch und kurzsichtig, sondern umfassend und nachhaltig entgegensteuert.“

Finnern stellte fest, dass das Aktionsprogramm „Aufholen nach Corona“ der Bundesregierung und die entsprechenden Länderprogramme angesichts der Probleme viel zu kurz springen würden und sozial nicht ausgewogen seien. „Damit die Unterstützung wirklich dort ankommt, wo sie gebraucht wird, muss die Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen unbürokratischer und zügiger laufen. Vor allem müssen die Gelder aber sowohl unter den Ländern, als auch unter und in den Kommunen zielgerichteter verteilt werden. Dabei lautet der Grundsatz: Ungleiches muss ungleich behandelt werden. Die Gelder müssen nach Sozialindex vorrangig dahin fließen, wo die Schulen sie am dringendsten benötigen“, betonte die GEW-Vorsitzende. „Die Mittel der aktuellen Programme sind wichtig, die soziale Schieflage in einem unterfinanzierten und sozial selektiven Schulsystem ist aber allein mit befristeten Projektmitteln nicht aufzulösen. Die neue Bundesregierung muss hier einen Schwerpunkt setzen.“

Die soziale Spaltung zeige sich auch bei der Digitalisierung im Schulsystem. „Ob bei Lernplattformen, Videounterricht, digitalen Lernkonzepten oder WLAN: Überall haben Brennpunktschulen das Nachsehen gegenüber Gymnasien. Sogar bei der Ausstattung mit Luftfiltern schneiden Schulen in schwieriger sozialer Lage schlechter ab. Bildungsteilhabe und Gesundheit hängen bis heute vom Geldbeutel der Eltern und der Finanzlage der Kommune ab“, unterstrich Finnern.

Das Schulbarometer bestätige die Befunde der GEW-Studie „Digitalisierung im Schulsystem 2021“. Das gelte vor allem für die Unterschiede zwischen „digitalen Vorreiter- und Nachzüglerschulen“. Zwischen diesen bestehen laut GEW-Studie gewaltige Unterschiede in der digitalen Infrastruktur sowie beim Lehren und Lernen mit digitalen Medien und Tools. Die technische Ausstattung der Schulen und der Familien habe sich zwar verbessert, sei aber weiterhin weder für einen pandemiebedingten Fernunterricht noch für eine zukunftsfeste Schule ausreichend. Insbesondere die Schulen mit besonderen Herausforderungen würden auch hier abgehängt.

„Erschreckend“ sei, so Finnern, dass in der Pandemie keine Unterstützungsmaßnahmen eingeführt worden sind, die Schülerinnen und Schüler mit psychosozialen Problemen unterstützen. „Nur Leistungsdruck und Stoffpaukerei für gute Noten sind der falsche Weg. Wichtig ist, dass Schulen auf die Nöte und Sorgen der Kinder eingehen und ihnen dabei helfen, Motivation und Lernfreude zu entwickeln und zu Konzentration und Ruhe zurück zu finden. Gerade in Krisenzeiten müssen Fächer, die der Persönlichkeitsentfaltung, dem spielerischen Lernen, der Bewegung und der Kreativität Raum geben, stärker in den Vordergrund rücken.“ Dazu brauchten Schulen die nötige Freiheit und personelle Unterstützung. Zu einem pädagogischen Post-Corona-Programm gehöre, Schule zum Ort der Begegnung und des sozialen Zusammenhalts, der Vielfalt von Lernmethoden und Lernzugängen zu machen. „Wenn die Kultusministerien die ‚normale Schule‘ ausrufen: Das neue ‚Normal‘ muss sozialer, inklusiver und personell besser untersetzt sein“, hob die GEW-Vorsitzende hervor.

„Die Impfquote von 95 Prozent bei Lehrkräften zeigt, dass Pädagoginnen und Pädagogen Verantwortung übernehmen – und alle Diskussionen über eine Impfpflicht von Lehrkräften an den Problemen vorbeigehen“, unterstrich Finnern.


27.10.2021
Ulf Rödde
GEW-Hauptvorstand
Pressesprecher
www.gew.de