Bundesweite Studierendenvertretung: Nothilfe-Beantragung ist intransparent, ethisch fragwürdig und technisch katastrophal umgesetzt

Stellungnahme: freier zusammenschluss von student*innenschaften (fzs) e.V.

Den bundesweiten Dachverband der Studierendenvertretungen fzs erreichen seit dem 15. Juni 2020 zahlreiche wütende und verzweifelte Nachrichten von Studierenden zurm Antragsverfahren für die sogenannte „Überbrückungshilfe“. Vorstandsmitglied Amanda Steinmaus erklärt: „Laut einer Umfrage befinden sich in der Corona-Krise eine Million Studierende in ernster finanzieller Not. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung weigert sich seit Beginn, eine substantielle Hilfe zur Verfügung zu stellen. Nun läuft das Trostpflaster „Überbrückungshilfe“ an, bei dem Studierende unter strengen Auflagen bis zu 500€ erhalten können.“ Doch schon seit dem ersten Tag der Antragsbearbeitung sei die Wut unter Studierenden groß: vollständige Anträge würden massenhaft und teils automatisch abgelehnt, Begründungen blieben aus.

Seit dem 15. Juni konnten die Studierenden Anträge stellen, um für den Monat Juni erstmalig einen staatlichen Zuschuss zu erhalten. Da sie nicht berechtigt sind, Arbeitslosengeld II zu beziehen, sind ihnen mit der Krise oft sämtliche Einnahmen weggebrochen. fzs-Vorstand Leonie Ackermann ist fassungslos, dass die Bundesregierung und das BMBF hier keinen schnellen Handlungsbedarf gesehen haben und somit viele Menschen zum Studienabbruch gezwungen wurden. „Nun werden seit dem 29. Juni die Anträge für die streng reglementierte und viel zu geringe Nothilfe bearbeitet – nach vier Monaten Wartezeit!“

Laut Jacob Bühler, ebenfalls fzs-Vorstand, häuften sich schon am ersten Tag auf Twitter die Meldungen über Ablehnungen trotz vollständig ausgefülltem Antrag und akuter Notlage. Teil des Problems: Die Ablehnungen erfolgen ohne Angabe von Gründen. „Das ist schon deswegen problematisch, weil bei einer erneuten Antragstellung im nächsten Monat potentiell der gleiche Fehler noch einmal gemacht wird. Hinzu kommt, dass das Online-Tool gerade zu Beginn noch einige Bugs hatte und weiterhin nicht klar ist, ob diese nun alle behoben sind. So wurden eigentlich vollständige Anträge zum Teil automatisch abgelehnt. Nur auf Drängen der einzelnen Betroffenen und mit großem Aufwand können die Studierendenwerke den Antrag zurückholen und überprüfen – eigentlich ist das nicht vorgesehen. Ist der Antrag automatisch oder händisch abgelehnt, liegt er dem Studierendenwerk nicht mehr vor.“, kritisiert Bühler.

Die Studierendenwerke stehen nun vor einem Berg von 70.000 Anträgen. Noch dazu ist der Zeitdruck groß: Die Studierenden warten seit März auf Hilfe, sie haben seitdem keine oder stark verringerte Einnahmen und keinen Anspruch auf ALG II. Nur 12% erhalten BAföG. Ein weiterer Monatsanfang ohne Einnahmen kann sie zur Exmatrikulation zwingen, damit sie die Grundsicherung erhalten.

Amanda Steinmaus dazu: „Diese Situation steht im Gegensatz zu Äußerungen Angela Merkels im Rahmen der gestrigen Regierungsbefragung. In Bezug auf Deutschlands EU-Ratspräsidentschaft betonte die Kanzlerin, dass es während der Corona-Krise besonders wichtig sei, die Chancen der jungen Menschen in Europa zu sichern. Wie wenig ernst es der Bundeskanzlerin mit Chancengerechtigkeit an Hochschulen tatsächlich ist, zeigte sich an ihrer Antwort auf die Frage der Politikerin Nicole Gohlke, wie sie die Spaltung im Bildungsbereich in Arm und Reich verhindern wolle. Merkel antwortete, Studierende aus finanziell schwachen Familien bekämen BAföG, daher sei dieses Szenario nicht realistisch. Dies widerspricht sowohl den Förderzahlen und den entsprechenden Sozialerhebungen als auch dem, was Gewerkschaften und Studierendenvertreter*innen seit Jahren anprangern.“

Leonie Ackermann führt weiter aus: „Das Online-Tool musste in kürzester Zeit aus dem Boden gestampft werden, nachdem vorher monatelang nichts geschehen war, um Studierenden zu helfen. Das Tool weist daher auch einige Absurditäten auf; so müssen drei Selfies hochgeladen werden: eins zusammen mit dem Personalausweis, eins mit einer Verifikationsnummer auf einem Zettel und ein Standard-Selfie. Bitte recht freundlich! Von Beginn an rieten fast alle großen hochschulpolitischen Organisationen zu einer breiten Öffnung des BAföGs als Nothilfe, da diese einfacher hätte umgesetzt werden können. Doch diese Hinweise und Bedenken wurden von der Bundesregierung ignoriert. So steuern wir nun auf eine Bildungskatastrophe zu.“

Eine erneute Einzelprüfung der zu Beginn abgelehnten Anträge und die Angabe der Gründe der Ablehnung bedeuteten natürlich einen Mehraufwand für die Studierendenwerke, doch nur so seien unnötige Studienabbrüche zu verhindern. Für Amanda Steinmaus ist klar, dass das von Frau Karliczek nach langem Abwarten langsam umgesetzte Konzept von Beginn an in Kauf genommen habe, dass Studierende mit knappen Finanzen lange vor Beginn der Auszahlung das Studium abbrechen mussten. „Auch die nun anlaufende Nothilfe wird den Wenigsten substanziell helfen – das Maximum, das sich Studierende hier erhoffen können, ist eine Aufstockung des Kontostands um höchstens 500€ auf höchstens 599€. Damit kann in kaum einer Hochschulstadt der Lebensunterhalt bestritten werden. Hinzu kommen die aufgelaufenen Kosten der Vormonate. Und die Hilfe läuft ja auch nur im Juni, Juli und August. Das Ende der Corona-Krise ist hingegen nicht abzusehen.“

StudierendenAlle Infos zur „Überbrückungshilfe“ zusammengefasst: https://www.studis-online.de/studienfinanzierung/corona-zuschuss.php


2.7.2020
freier zusammenschluss von student*innenschaften (fzs) e.V.
Amanda Steinmaus, Leonie Ackermann, Sebastian Zachrau, Jacob Bühler
– Vorstand –
www.fzs.de

 

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