GEW Bayern zum alten und neuen Schuljahr: „Wir sind in Sorge um die Bildung.“

Die schlechten Nachrichten reißen nicht ab. Fachkräftemangel, Klima- und Energiekrise, Coronakrise, Flüchtlingskrise – und alles endet in einer beispiellosen Bildungskrise. Leidtragende sind vor allem Kinder und Jugendliche. Ihre Bildungschancen verschlechtern sich zusehends. Der Landesverband Bayern der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) blickt deshalb mit großer Sorge auf die Zukunft.

Im kultusministeriellen Schreiben vom 25.07.2022 an die Bezirksregierungen wird deutlich, was auf die Schüler*innen im neuen Schuljahr an Grund-, Mittel- und Förderschulen zukommt. Es wird von „konsequenter Fokussierung auf Kernaufgaben der Schule“ gesprochen, das Ziel sei eine „solide und belastbare Unterrichtsversorgung“. Notwendig werde eine „regionalspezifische Ausbalancierung von angespannten Personallagen“. Was das konkret bedeutet, wird schnell klar. Das Ministerium schlägt ein einschneidendes „Streichkonzert“ vor:
Differenzierungsstunden streichen, Arbeitsgemeinschaften streichen, Kooperation Kindergarten/Grundschule streichen, Schulentwicklungsmoderator*innen streichen, Beratung „Digitale Bildung“ streichen, Maßnahmen zur individuellen Förderung streichen, DeutschPlus streichen, Klassen vergrößern – es geht darum, mit allen Mitteln lediglich die Stundentafel aufrechtzuerhalten.

„Dieses Schreiben ist schlicht Beleg dafür, dass es dem Ministerium nicht mehr gelingt, das Bildungssystem angemessen auszustatten. Wenn man sich jetzt vorstellt, dass der Kultusminister nach den Ferien in der Pressekonferenz verkünden wird, dass es ihm gelungen ist, ein solides Personalkonzept auf die Beine zu stellen, und die flächendeckende Unterrichtsversorgung gewährleistet ist, kann einem nur schlecht werden. Das ist eine grundsätzliche Verdrehung der Tatsachen vor Ort. Unserer Aufgabe, nämlich allen Kindern und Jugendlichen ein gutes Bildungsangebot zu machen, können wir unter diesen Rahmenbedingungen nicht mehr nachkommen“, sagt Florian Kohl, stellvertretender Vorsitzender der GEW Bayern.

Die bisherigen Maßnahmen der Staatsregierung, um dem Lehrkräftemangel entgegenzuwirken, waren bereits in den letzten Schuljahren nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Bitte um eine Aufstockung der Teilzeit wird bei den meisten Kolleg*innen verhallen: Angesichts der Arbeitsüberlastung ist gerade die Teilzeit eine weit verbreitete Möglichkeit, irgendwie gesund zu bleiben. Das Geld ist da, doch auch im Kultusministerium gibt man zu, dass die Stellen auf dem Papier nicht mit dem entsprechenden Personal besetzt werden können. Stattdessen werden Schulleitungen erneut damit beauftragt, sich in den Sommerferien auf die Suche nach irgendwie geeigneten Menschen zu machen. Die GEW-Forderungen nach einer Aufwertung des Berufs der Lehrkraft, allen voran die gleiche Eingangsbesoldung nach A 13 auch für Grund- und Mittelschullehrkräfte, bleiben bis heute entgegen der Wahlversprechen der Freien Wähler unerfüllt. Auch das fundierte GEW-Konzept zur Lehrer*innenbildung findet im Kultusministerium keine Resonanz.

„Die Beschäftigten vor Ort sind schlichtweg durch nach diesem Schuljahr. Egal wo man hinschaut, da herrschen kein Optimismus, keine Vorfreude auf das neue Schuljahr, auf neue Schüler*innen, sondern angesichts der vielen Belastungen nur das blanke Grausen. Die Folge: Schulleitungen, die ihren Dienst quittieren, Studienreferendar*innen, die ihre Planstellen nicht antreten, Lehrkräfte, die sich zum Amtsarzt oder zur Amtsärztin begeben: So kann man keine Werbung für unseren Beruf machen. Es wird einem wirklich Angst und Bang“, sorgt sich Martina Borgendale, Vorsitzende der GEW Bayern.

Die Situation an den Grund- und Mittelschulen steht nicht allein. Auch in den anderen Schulformen, in der frühkindlichen Bildung und in den Horten ist der Fachkräftemangel eklatant. Die Verantwortlichen vor Ort fragen: Wie soll ein Bildungsanspruch gewahrt bleiben, wenn das Personal fehlt? Zudem stehen mit den Flüchtlingskindern aus der Ukraine die nächsten Herausforderungen an, die ohne entsprechend qualifiziertem Personal kaum erfolgreich zu bewältigen sein werden.

Darüber hinaus beginnt Corona bereits jetzt erneut um sich zu greifen. Die Zahlen der Erkrankten steigen. Das Ministerium fährt weiter auf Sicht und setzt auf Eigenverantwortung, auch in der Pandemiebekämpfung. Eine Testpflicht wird es nicht mehr geben. Gasknappheit im Winter und nichts außer Lüftungskonzepten an den Schulen?

„Es ist schön, dass das Kultusministerium weiterhin prestigeträchtige Projekte möglich macht, beispielweise den Modellversuch ‚Digitale Schule der Zukunft‘, mit denen es versucht, sich zu profilieren. Die Probleme, die wir allerdings derzeit in der Breite haben, sind gravierend, werden gemäß Prognosen noch lange anhalten und haben Einfluss auf unsere Gesellschaft: Sie verschlechtern die Bildungschancen und -möglichkeiten aller Kinder und treffen vor allem diejenigen, die bereits mit schlechteren Startvoraussetzungen klarkommen müssen. Eine nachhaltige Strategie, wie man diesen Problemen begegnen kann, sehen wir nicht. Wir fordern eine Task Force am Ministerium, die Lösungen hin zu einem zukunftssicheren, inklusiven und gerechten Bildungssystem entwickelt. Wir müssen uns wirklich alle überlegen, wie wir mit unseren Kindern und deren Bildungspotenzial umgehen und in was für einer Gesellschaft wir leben wollen. Das Rad dreht sich zu schnell und immer mehr Kinder werden unter diesen Rahmenbedingungen unter die Räder kommen. Bildung ist mehr wert!“, stellt Martina Borgendale fest.


29.7.2022
Martina Borgendale, Vorsitzende
Florian Kohl, stellvertretender Vorsitzender
GEW Bayern
www.gew-bayern.de

 

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