SprachbeHERRschung ist schon die halbe Mitte

Der Kommentar zum Zeitgeschehen

Die AfD ist ja nun, weiß Gott, kein neues Phänomen. Entsprechend ist ihr Einfluss auf den täglichen Sprachgebrauch in unserer Gesellschaft nicht eben verwunderlich. Genau hier liegt die Crux: Die Gewöhnung an AfD-Sprache ist wie ein schleichendes Gift, das zunächst unser Gehirn und zunehmend unseren ganzen Körper in Mitleidenschaft zieht. Ein Wegbereiter dieser Giftmischung war Thilo Sarrazin, der mit seiner Formel „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ und seinen vorurteilsbeladenen Veröffentlichungen den Giftmischern den Weg ebnete und dabei von profit- und skandalgeilen Verlagen unterstützt wurde. Von dessen „Kopftuchmädchen“ führt der Weg direkt zu den muslimischen „Messerstechern“ und Gaulands Beurteilung des Faschismus in Deutschland mit dem inzwischen zum Bonmot verkommenen Ausspruch, er sei nur „Vogelschiss in der deutschen Geschichte“.

Im Zuge der anfänglichen Empörungswelle, nicht zuletzt befördert durch die „öffentlich-rechtlichen Medien“, konnte die AfD immer mehr in eine komfortable Beklage- und Opferrolle schlüpfen und in der Wählergunst reüssieren. Endlich hatte der schweigende antisemitisch- und ausländerfeindlichlastige Bürger eine „Vertretung“ in der Öffentlichkeit. Eine Vertretung, an die selbst die JournalistInnen sich so gewöhnt haben, dass sie diesem Neonaziverein in Interviews oder Talkshows nur noch mit teilweise lahmer Entgegnung Begriffe wie „Altparteien“, „Systempresse“, „Lügenpresse“, „Wir gegen die“, „Umvolkung“ durchgehen lassen. In etwa nach dem Motto: So sind se halt. Müssen wir ertragen.

Auch in den Printmedien bürgert sich mehr und mehr der laxe Umgang mit Nazisprache ein. Der Begriff das „Dritte Reich“ wird zunehmend nicht mehr in Anführungsstriche gesetzt und die Machteinsetzung oder Machtübernahme der Nazis im Jahr 1933 ist inzwischen wieder zur Machtergreifung(!) geworden, ohne Anführungszeichen versteht sich. Diese schleichende unreflektierte Übernahme alter Nazibegriffe vernebelt die Gehirne und reißt so Leitplanken ein, ohne die es eigentlich in der Beurteilung und im Umgang mit rechtsextremen Gefahren nicht geht.

Und so stößt die AfD unaufhaltsam (?) vor, in die Mitte unserer Gesellschaft: mit Vorurteilspflege, Ressentimentshege und Provokationsvokabular zur Vernebelung der Gehirne und Emotionalisierung der gesellschaftlichen Debatten. Erfolge sind allenthalben sichtbar und ein exemplarisches Beispiel dafür ist der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz, der vor lauter Oppositionsgehabe und Anbiederei an die WählerInnen auf der populistischen Erfolgsschiene der AfD fuhr, als er allen Ernstes behauptete, Zahnpflegetermine für Deutsche seien wegen der Bevorzugung von Asylbewerbern nicht zu bekommen.

Da lacht sich die AfD ins Fäustchen und macht ein Kreuzchen im Kalender mit der Bemerkung: Endlich offiziell in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Jürgen Scherer


Jürgen Scherer ist ehemaliger Lehrer für Geschichte und Politik an einer hessischen Gesamtschule und GEW-Mitglied. Er schrieb früher für das Magazin Auswege, jetzt für seinen Nachfolger – das GEW-MAGAZIN.

 

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