Der Kommentar zum Zeitgeschehen
von Jürgen Scherer*
Das Fegefeuer ist ja, wie jeder Gläubige weiß, der Ort, an dem Sünder von lässlichen Sünden gereinigt werden, bevor es in den Himmel geht. Sowenig wir über das Fegefeuer im Detail Bescheid wissen, so wenig wissen wir über den Himmel. Gut, es gibt Mutmaßungen, es gehe dort paradiesisch zu, was immer das sein mag, z.B. schlaraffenlandmäßig… Hoffen wir das mal. Was das Fegefeuer angeht, scheint es auch irdische Fegefeuer zu geben und eines davon mag so aussehen, wie im Morgenmagazin des ZDF am Montag, dem 23. Juni, aus der Pionierschule Ingolstadt präsentiert.*
Da war zu sehen, und das kann jede/r in der ZDFMediathek nochmal nachvollziehen, wie unter dem Deckmantel der Ausgewogenheit Flecktarnwashing geht. Eine Meisterleistung an Propaganda auf Samtpfoten, die den eigentlich von foodwatch vergebenen „Goldenen Windbeutel“ verdient hätte.
Nichts weniger als eine herausragende Moderatorenleistung von Andreas Wunn war zu bewundern, dem danach das Schulterklopfen des MoMaTeams wohl mehr als sicher war. Die dargebotene Sachlichkeit in der Gesprächsleitung, verbunden mit einer scheinbaren Objektivität der Sache gegenüber war großes Kino. Konnte aber nicht darüber hinwegtäuschen, wes Geistes Kind er in Bezug auf Militär- und Rüstungsförderung ist, letztlich nämlich eindeutiger Sympathisant mit den derzeitigen Plänen und Vorhaben der „Zeitenwender“.
Dies zeigte sich nicht zuletzt darin, dass die interviewten Gäste mehrheitlich aus dem Zeitenwendelager kamen, sondern auch darin, dass er, immer, wenn kritische Nachfragen zu hinterfragenswerten Standpunkten der Interviewten zur Aufklärung der ZuschauerInnen notwendig, richtig und wichtig gewesen wären, solche Nachfragen nicht stellte, vielmehr die jeweilige Antwort so stehen ließ, wie sie gegeben worden war. Damit war er eher akzeptierender Stichwortgeber des morgendlichen Mainstreams denn kritischer Moderator.
Am entlarvensten fand ich, ich kann es nicht anders nennen, das Scheininterview mit der Ingolstädter Vertreterin der Friedensbewegung. Nicht allein, war es das kürzeste von allen an diesem Morgen, die Vertreterin wurde außerdem noch, mitten in dem Versuch einer etwas längeren Antwort, auf etwas später vertröstet, kam aber dann nicht mehr zu Wort (friedensbewegte Menschen sollten sich für solche Feigenblattvorführungen nicht hergeben!).
FAZIT: Das ZDF-Fegefeuer in Ingolstadt hat einem gemutmaßten Fegefeuer alle Ehre gemacht. Ob es Herrn Wunn und seinem Team gelang, in den ZuschauerInnen, die lässlichen Sünden, die sich auf das Nichtanerkennenwollen von Militarisierung und Militarismus in unserer Gesellschaft beziehen, sanft auszutreiben und sie so auf den in Bälde gewappneten Himmel auf Erden einzustimmen, mag jede/r selbst entscheiden. Dass dieser Himmel sich evtl. eher höllisch zeigen könnte, wurde jedenfalls nachprüfbar mehr oder weniger flecktarnweichgespült.
Wir sollten uns wappnen: Propaganda kann auch auf samtweichen Pfoten daherkommen. Es gab Zeiten, da nannte man so etwas „subversiv“!
*→ Hier geht es zum ZDF-Morgenmagazin. Der Filmbeitrag über die Pioniere beginnt bei Minute 8:10
*Jürgen Scherer ist ehemaliger Lehrer für Geschichte und Politik an einer hessischen Gesamtschule und GEW-Mitglied. Er schrieb früher für das Magazin Auswege, jetzt für das GEW-MAGAZIN.
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