GEW: „Bund und Länder müssen Weichen für verlässliche Karrierewege stellen“

Bildungsgewerkschaft GEW zum „Bundesbericht Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einer frühen Karrierephase“

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat Bund und Länder aufgefordert, rasch Konsequenzen aus dem neuen „Bundesbericht Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einer frühen Karrierephase (BuWiK)“ zu ziehen. „Zu viele Zeitverträge mit zu kurzen Laufzeiten, familienfeindliche Bedingungen, keine verlässlichen Karrierewege – der neue BuWiK hat schonungslos die Schwächen des deutschen Wissenschaftssystems offengelegt. Jetzt müssen endlich die politischen Weichen für Dauerstellen für Daueraufgaben sowie verlässliche Karrierewege in der Wissenschaft gestellt werden“, sagte Andreas Keller, stellvertretender GEW-Vorsitzender und -Hochschulexperte, am Donnerstag mit Blick auf die Präsentation des Berichts durch die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), Claudia Müller (Bündnis 90/Die Grünen).

Laut BuWiK ist der Anteil der Zeitverträge in der Wissenschaft unvermindert hoch: Bei Promovierenden beträgt er 99,7, bei Promovierten liegt er bei 90 Prozent. Sogar habilitierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind zu 44 Prozent befristet beschäftigt. Die durchschnittlichen Vertragslaufzeiten gibt der Bericht mit 29,6 und für Promovierende mit 34,3 Monaten an. „Es kann zwar ein leichter Anstieg der Laufzeiten gegenüber dem Bericht von 2021 verzeichnet werden, der Abstand zur durchschnittlichen Qualifizierungsdauer (Promotionszeit), die der BuWiK mit über fünf Jahren angibt, ist aber nach wir vor eklatant. Wir brauchen daher eine gesetzliche Verankerung der Mindestvertragslaufzeiten: in der Regel sechs, mindestens aber vier Jahre für Promovierende“, erklärte Keller.

Der Bericht lege offen, dass die Befristungspraxis massive negative Auswirkungen sowohl auf die Betroffenen als auch auf das Wissenschaftssystem habe, sagte Keller: „Neben einer mangelnden Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben wird die berufliche Unsicherheit als zentraler Grund dafür angegeben, dass viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Kinderwünsche nicht realisieren. Kein Wunder, dass immer mehr befristet Beschäftigte den Hochschulen und Forschungseinrichtungen den Rücken kehren. Nur noch 18 Prozent der Befragten sehen für sich eine Perspektive für ihre Wissenschaftskarriere, vor vier Jahren waren es noch 30 Prozent. Diese Daten müssen ein Weckruf für Wissenschaft und Politik sein, wenn sie Positionen in Forschung und Lehre auch noch morgen qualifiziert besetzen wollen.“

Ein Schwerpunkt des BuWiK, so Keller, sei die Untersuchung der Tenure-Track-Professur, mit der Bund und Länder über das „Programm zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses“ die Planbarkeit wissenschaftlicher Karrieren verbessern möchten. Mit einem Tenure Track werden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler befristet auf eine Professur eingestellt und dann entfristet, wenn sie zuvor vereinbarte Leistungen in Forschung und Lehre erbracht haben. „Der Bericht macht deutlich, dass die Tenure-Track-Professur nicht nur quantitativ ein Tropfen auf den heißen Stein ist, sondern auch qualitativ falsch ansetzt. Einstellungsvoraussetzung für die aktuell bundesweit rund 1.300 Tenure-Track-Professuren ist eine bereits erfolgreich durchlaufene Postdocphase, häufig sogar die Habilitation oder eine abgeschlossene Juniorprofessur. Im Ergebnis werden die Karrierewege dadurch nicht kürzer und planbarer, sondern länger und steiniger. Wir brauchen daher bereits für Postdocs Dauerstellen oder zumindest mit einer Entfristungszusage verknüpfte Zeitverträge, wie die GEW in ihrem 2022 vorgelegten Entwurf für ein ‚Wissenschaftsentfristungsgesetz‘ vorgeschlagen hat“, betonte Keller.

Er appellierte an Bund und Länder, den Bericht jetzt „nicht in der Schublade verschwinden zu lassen“, sondern die aufgezeigten Probleme schnell zu lösen. „Neben den überfälligen Struktur- und Gesetzesreformen müssen Bund und Länder auch in der Wissenschaftsfinanzierung für einen Paradigmenwechsel sorgen, indem sie die Gelder für die Projekt- und Drittmittelfinanzierung begrenzen und die Grundfinanzierung der Hochschulen deutlich ausbauen“, unterstrich Keller.

Info: Der „Bundesbericht Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einer frühen Karrierephase“ (vormals: Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs – BuWiN)“ wird alle vier Jahre im Auftrag des BMBF vorgelegt.
Der Projektleiter Rasmus Bode vom Institut für Innovation und Technik wird den Bericht am 12. Februar im Rahmen der GEW-Wahlkonferenz Wissenschaftspolitik vorstellen.


30.1.2025
Ulf Rödde
GEW-Hauptvorstand
www.gew.de

 

GEW: „Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz hat ausgedient“

Bildungsgewerkschaft beim Expertengespräch im Deutschen Bundestag

Bericht: GEW

Berlin – Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat den Bundestag gemahnt, das 2007 in Kraft getretene Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) abzulösen. So solle für mehr Dauerstellen für Daueraufgaben, verlässliche Karrierewege, Mindestlaufzeiten für Zeitverträge und mehr Chancengleichheit in Hochschule und Forschung gesorgt werden. „Das Gesetz hat in beispielloser Weise die Prekarisierung der Arbeit in der Wissenschaft vorangetrieben. 84 Prozent aller wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Hochschulen sind befristet beschäftigt, 42 Prozent von ihnen mit einer Vertragslaufzeit von weniger als einem Jahr. Zwei Drittel aller Promovierenden werden mit einer halbfertigen Doktorarbeit auf die Straße gesetzt. Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz hat ausgedient – es muss schleunigst durch ein Wissenschaftsentfristungsgesetz ersetzt werden“, sagte Andreas Keller, stellvertretender GEW-Vorsitzender und Hochschulexperte, bei einem Fachgespräch des Bundestagsausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung am Mittwoch in Berlin.

„Immer mehr Zeitverträge mit immer kürzeren Laufzeiten – das ist nicht nur unanständig gegenüber den hoch qualifizierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, sondern untergräbt auch die Kontinuität und Qualität von Forschung und Lehre sowie die Attraktivität des Arbeitsplatzes Hochschule und Forschung“, betonte Keller. Der Bund habe in der Bildungs- und Wissenschaftspolitik „wenig zu sagen“, aber er habe die Gesetzgebungskompetenz für das Arbeitsrecht. „Diese muss er nutzen, um den Hochschulen und Forschungseinrichtungen die Lizenz zum Befristen zu entziehen“, forderte Keller.

Konkrete Vorschläge dafür habe die GEW mit ihrem Gesetzentwurf für ein Wissenschaftsentfristungsgesetz vorgelegt. „Der Bund muss Rahmenbedingungen festlegen, die eine erfolgreiche wissenschaftliche Qualifizierung möglich machen. Dazu gehören Vertragslaufzeiten von in der Regel sechs, mindestens aber vier Jahren und das Recht auf Qualifizierung in der Arbeitszeit. Wenn keine Qualifizierung möglich ist, werden Daueraufgaben erledigt, für die Dauerstellen eingerichtet werden müssen“, unterstrich der GEW-Hochschulexperte. Mit der Promotion sei die wissenschaftliche Qualifizierung abgeschlossen. „Postdocs müssen daher entweder eine Dauerstelle oder aber einen Zeitvertrag mit verbindlicher Entfristungszusage erhalten“, sagte Keller. Darüber hinaus müsse im Gesetz ein verbindlicher Nachteilsausgleich für Beschäftigte, die Kinder betreuen, behindert oder chronisch krank sind oder Beeinträchtigungen im Zuge der Corona-Pandemie hinnehmen mussten, verankert werden.

Info: Der Dresdner Entwurf der GEW für ein Wissenschaftsentfristungsgesetz kann mit einer ausführlichen Begründung auf der GEW-Website heruntergeladen werden.

Mit einem Video macht die GEW auf die wichtigsten Anliegen des Gesetzentwurfes aufmerksam.
(Hinweis d. Red.: der Film wird auf Youtube veröffentlicht. Youtube kann Daten beim Aufruf erheben.)


9.11.2022
Ulf Rödde
Pressesprecher
GEW-Hauptvorstand
www.gew.de