Abgesang auf eine „alte Liebe“

Der Kommentar zum Zeitgeschehen

von Jürgen Scherer

Ich weiß nicht, ob es euch auch so geht, aber ich bin von Tag zu Tag immer mehr von ihr enttäuscht. Begonnen hat es wohl vor vier, fünf Jahren, d.h. da ist es immer deutlicher zutage getreten. Denn Anzeichen dafür hatte es schon vorher immer mal wieder gegeben. Aber die habe ich nicht so ernst genommen. Jede/r macht mal Fehler. Das muss jedem/jeder zugestanden werden. Auch wenn man für sein Geld eigentlich korrekten Service verlangen können sollte. Naja, letztlich verzeiht man einer „alten Liebe“ so manches.

Dennoch komme ich nicht umhin, festzustellen, dass die Coronazeit ihr wohl massiv zugesetzt hat. Vorher war noch einigermaßen klar: Wenn sie über einen Sachverhalt berichtete, dann geschah das weitgehend sachlich, informativ und meinungsfordernd; selten mal „überwältigend“. Den „Oberen“ gegenüber konnte sie regelrecht fuchtelig werden, sodass die manchmal die Contenance verloren, wenn sie unversehens unter Rechtfertigungsdruck gerieten. Legitimen Druck, versteht sich. Denn Macht und Herrschaft müssen sich legitimieren können in einer Demokratie.

Und dann kam CORONA! Es gab Unsicherheiten, es gab Ängste, es gab sogar Panik. Und statt nun, wie ich es von ihr gewohnt war, professionell und cool zu reagieren, wie es sich für eine Beobachterin und Analytikerin geziemt, ließ sie sich von der allgemeinen Stimmung anstecken und stimmte meist mehr oder minder kritiklos ein in den Chor der Panikmacher und Allesbestimmer. Nun könnte man sagen, das sei verständlich, schließlich entwickelten sich auch bei ihr Ängste, die zu Unsicherheiten und Gehorsamsleistungen führten. Es war eben eine Ausnahmesituation. Schon klar. Aber zeigt sich in einer besonderen Lage nicht erst, was jemand zu leisten vermag: Für Aufklärung, für Entängstlichung, für Mündigkeit. Sie versagte auf breiter Front. Sie wurde zum Sprachrohr der Allesbestimmer und schürte die Panikstimmung so hingebungsvoll mit, dass einem wirklich angst und bange werden konnte. Denunziantentum wurde von ihr mitgefordert und gelobt, Andersdenkende wurden als „Querdenker“ diffamiert (Querdenker: früher einmal ein Ehrbegriff), wer medial nicht mitspielte im „Monopoly der Angstmache“ wurde zum „Quasilügner“ gemacht. Um all diese Seltsamkeiten zu legitimieren, wurden Hilfsunterstützter zum Vorschein gebracht, die Faktenchecker genannt wurden. Sie sollten die verlorene Glaubwürdigkeit wieder auf feste Beine stellen, waren aber nicht selten sehr interessegeleitet am Werk. Was war nur aus ihr geworden? Hatte sie all ihre Überzeugungen über Bord geworfen, weil auch bei ihr die Angst zum vorherrschenden Ratgeber geworden war?

Geschenkt! Corona ging vorbei und sie die hatte die Chance, zur alten Zuverlässigkeit gegenüber ihren Geldgebern zurückzukehren. Weit gefehlt! Die nächste Krise stellte sich ein: Krieg im nahen Europa! Und was machte sie? Statt sich zurück zu besinnen auf Vorcoronazeiten, machte sie einfach weiter, wie zwei Jahre lang eingeübt: Angstmache in der Breite unserer Gesellschaft, neue Feindbildpflege und, nicht zu vergessen, Mitlitarismusunterstützung für die „Oberen“. Keine Aufklärung über mögliche Alternativen zum Kriegsverhalten in unserem Land, kein Widerstand gegen die Entsorgung der Geschichte der Entspannung, kein Beharren auf kritischen den Frieden fördernden Nachfragen bei Interviews, Talkshows, Pressestatements. Alles in allem Verrat an ihrem Ethos der Unbestechlichkeit und ihrem Aufklärungsauftrag.

Was ist nur aus ihr geworden, meiner ehedem so zuverlässigen „Öffentlich-rechtlichen Vierten Gewalt“.


Jürgen Scherer ist ehemaliger Lehrer für Geschichte und Politik an einer hessischen Gesamtschule und GEW-Mitglied. Er schrieb früher für das Magazin Auswege, jetzt für seinen Nachfolger – das GEW-MAGAZIN.
Bild von Al Gг auf Pixabay

 

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