Offener Brief: Bayerns Eltern erwarten die „ganze Wahrheit“

Offener Brief Bayerischer Elternverband

Sehr geehrter Herr Kultusminister Professor Piazolo,

der Bayerische Elternverband geht davon aus, dass Sie als Professor mit der korrekten Kommunikation von Ergebnissen wissenschaftlicher Untersuchungen vertraut sind. Deswegen erlauben wir uns hier, unser Unverständnis über den Inhalt Ihrer Pressemitteilung vom 17. Oktober 2022 bzgl. der IQB-Studie auszudrücken.

Schon die Überschrift „IQB-Bildungstrend: Bayern mit Spitzenwerten in Mathematik und Deutsch“ ist irreführend. 13,2% der bayerischen Schülerinnen und Schüler erfüllen 2021 nach der Grundschule die Mindestanforderungen in Mathematik nicht, also fast jedes siebte Kind. Das mag im Vergleich zum deutschen Durchschnitt (21,8%) ein Spitzenwert sein, aber es besagt in ganzer Wahrheit nur, dass Bayern in Mathematik das beste von lauter schlechten Ergebnissen erreicht.

Für Deutsch und Lesen gilt derselbe Trend. Was uns in Bayern an der Studie 2021 am meisten alarmieren muss, ist, dass seit Beginn dieser Untersuchung 2011 immer mehr Schülerinnen und Schüler die Mindeststandards verfehlen. Das ist die wichtigste Botschaft. Dass Sie weiter unten immerhin preisgeben, dass „auch in Bayern … die Kompetenzwerte in den Fächern Deutsch und Mathematik abgenommen haben“, repariert die falsche Einordnung unter „Spitzenwert“ nicht.

Ganz anders dagegen die Bundesbildungsministerin in Ihrer Pressemitteilung vom 17. Oktober 2022: „Der IQB-Bildungstrend 2021 liefert alarmierende Ergebnisse, die uns aufrütteln müssen. Der Anteil der Viertklässlerinnen und Viertklässler, der die Mindeststandards nicht erreicht, ist viel zu hoch.“

Ähnlich wie die Bewertung der bayerischen IQB-Ergebnisse beschönigt auch Ihre PM vom 8. September 2022 die Situation zur Lehrkräfteversorgung, in der von einer „soliden“ Basis die Rede ist. Wir haben unter unseren Mitgliedern eine kurze Befragung mit gut 500 Teilnehmern durchgeführt. Die Ergebnisse sind hier https://www.bev.de/news/umfrage-des-bev-zum-lehrkraeftemangel nachzulesen. Obzwar nicht repräsentativ, zeigen sie, dass Fächerkürzungen, komplett ausgefallene Stunden ohne Betreuung, Kürzungen der Stundentafeln bzw. der regelmäßigen Unterrichtszeit und Stunden mit bloßer Beschäftigung zum Schulalltag gehören. Dies als „solide“ zu bezeichnen, grenzt an Zynismus.

Als Bürger erwarten wir von Ihnen eine ungeschönte Wiedergabe auch unbequemer Tatsachen. Sie können uns Wahrheiten zumuten. Beschönigungen dagegen schüren Politikverdrossenheit und Vertrauensverluste in Sie persönlich und – weitaus schlimmer – in den demokratischen Staat. Das können wir nicht gutheißen.

Daher bitten wir Sie nun, Ihre und die Darstellungen Ihres Hauses an die „ganze Wahrheit“ anzupassen, um ein realistisches Bild sowohl der Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler in Bayern als auch der Situation in den Schulen zu vermitteln. Wir würden uns freuen, Bayerns Eltern zeitnah diese ausgewogene Sicht übermitteln zu können, begleitet von Überlegungen, wie Sie die alarmierenden Ergebnisse für Bayern aufarbeiten wollen.

Mit freundlichen Grüßen

Martin Löwe, Landesvorsitzender


3.12.2022
Bayerischer Elternverband
Martin Löwe
www.bev.de