Götz Eisenbergs Durchhalteprosa 98: Die Bank an Röntgens Grab

 

Götz Eisenbergs Durchhalteprosa 98

 

Die Bank an Röntgens Grab

„Ich finde, dass meine Generation den Kindern großen Schaden zugefügt hat. Ich meine das Fehlen emotionalen Halts, den die Erwachsenen den Kindern nicht mehr geben können, weil sie selbst ihre Kindheit nachholen. Sie interessieren sich nur noch für ihren eigenen Standpunkt, für ihre Vergnügungen. Überall, wohin man auch blickt, sind die Kinder die Verdammten dieser Erde. Es mag noch eine Menge anderer Verdammter geben, aber die Kinder sind es ganz besonders.“
(Toni Morrison)

Bei Toni Morrison bin ich auch auf folgende Sätze gestoßen: „Es geht natürlich nicht darum, sich in eine wohlige Nostalgie über die guten alten Tage zu versenken – es gab keine guten alten Tage!“ Das ist richtig, und ich stimme dem zu. Aber „Nostalgie“ ist ein dialektisches Ding, das heißt: es gibt auch noch eine andere Seite, die in diesem Diktum von Morrison nicht vorkommt.

Auf die andere Seite bin ich beim Blättern in einem Band mit Briefen gestoßen, die Adorno und Horkheimer sich nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Tod Adornos geschrieben haben. Der fragliche Brief stammt von Adorno und datiert aus dem Jahr 1957. Dort heißt es: „Zum Schluss noch ein Gedänkchen: In allen Bewegungen, welche die Welt verändern möchten, ist immer etwas Altertümliches, Zurückgebliebenes. Das Maß dessen, was ersehnt wird, ist immer bis zu einem gewissen Grade Glück, das durch den Fortschritt der Geschichte verloren gegangen ist. Wer sich ganz auf der Höhe der Zeit befindet, ist immer auch ganz angepasst, und will es darum nicht anders haben.“

Es geht bei diesem Aspekt der Nostalgie, die hier natürlich nicht so heißt, um ein Phänomen, das ich „Differenzerfahrung“ nennen möchte. Dem Realitätsmonopol des Bestehenden kann nur widersprechen, wer die Erinnerung daran bewahrt hat, dass es einmal anders gewesen ist, nicht unbedingt materiell besser, aber anthropomorpher, also menschenförmiger und weniger entfremdet. Nur wer davon noch einen Geruch in der Nase hat, verfügt über einen Vergleichsmaßstand, an der er die Gegenwart messen und gegebenenfalls verwerfen kann. Ist alles, die Menschen inbegriffen, im Bloch‘schen Sinne „gleichzeitig“ ist Schicht im Schacht. … weiter

(Hinweis: Der Link führt seit Nummer 66 auf die eigene Seite der durchhalteprosa.de )


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