Wie sehr Corona unsere Jugend belastet

 

Ein Kommentar von Detlef Träbert

Immer wieder können wir hören oder lesen, wie sehr Corona uns im Alltag stresst. Dass das auch auf Kinder und Jugendliche zutrifft, ist uns nicht immer bewusst. Doch eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung *), gerade erst veröffentlicht, rückt bedrückende Tatsachen in unser Bewusstsein: 65 % der jungen Leute von 15 Jahren an aufwärts beklagen sich, dass ihre Sorgen und Nöte „eher nicht“ oder sogar „gar nicht“ wahrgenommen werden – 20 Prozent mehr als im Frühjahr 2020. 69 % fühlen sich aktuell von Zukunftsängsten geplagt und 64 % von psychischen Belastungen. Vor allem aber haben sie den Eindruck, dass ihre Situation den PolitikerInnen nicht wichtig sei (58%) und sie ihre Ideen nicht in die Politik einbringen könnten (57,5 %).

Diese und viele weitere Ergebnisse der JuCo-Studie liegen nahe an denen der KiCo-Studie („Kinder, Eltern und ihre Erfahrungen während der Corona-Pandemie“) vom 14. Mai 2020, in der es um die Sichtweise der Eltern von Kindern bis 14 Jahren ging. 31,9 % von ihnen stimmten der Aussage „Ich habe den Eindruck, dass meine Sorgen gehört werden“ gar nicht und 29 % kaum zu. Eltern von jüngeren Kindern sind also mit den politisch Verantwortlichen genauso unzufrieden wie ältere Jugendliche. Der Unterschied ist nur, dass Jugendliche ihr selbstverantwortetes Erwachsenenleben noch vor sich haben, während Eltern in der Mitte des Lebens stehen. Letztere können der Pandemie sogar positive Seiten abgewinnen, etwa weil der Terminstress entfällt, der mit den heute üblichen Freizeitkontakten der Kinder zu Freunden und Vereinen verbunden ist.

Beide Studien zeigen jedoch vor allem auf, wie wichtig es ist, dass die Politik die Betroffenen befragt und anhört, um stärker bedürfnisorientiert vorgehen zu können. Jugendliche können durchaus ExpertInnen für das Leben von Kindern und Gleichaltrigen sein, auch in Pandemiezeiten. In „Fragt uns 2.0“ (www.bertelsmann-stiftung.de) bringt ein jugendliches ExpertInnenteam auf den Punkt, wie es die Situation in der Corona-Zeit bewertet. „Kinder und Jugendliche müssen wissen, an wen sie sich wenden können“ (S. 9) ist eine seiner Forderungen. Und sie sollten auch in schwierigen Situationen beteiligt werden, um Ohnmachtserfahrungen zu verhindern und psychische Stärke zu gewinnen.

Nicht nur Eltern ist die Schulsituation ihrer Kinder wichtig, auch die Schülerinnen und Schülern selbst haben ein Interesse daran, dass Schule unter Corona-Bedingungen sicher genug organisiert ist, um alle gefahrlos teilhaben zu lassen. Das junge Redaktionsteam fordert deswegen nicht nur, die Digitalisierung der Schulen voranzutreiben, sondern auch ihre Ausstattung mit Luftfiltern und Hybridunterricht bei hohen Infektionszahlen. Ermutigend klingen Aussagen zu jenen Veränderungen in der Krise, die die Jugendlichen positiv sehen (S. 18): weniger Stress, Selbstorganisation, ein umweltfreundlicheres Leben u.a.m.

Gerade in diesen Punkten wird deutlich, dass die Jugend nicht nur die Kategorie „Schule“ sieht, sondern ihr ganzes Leben im Blick hat. Politik und die öffentliche Diskussion hingegen thematisieren ausschließlich die Organisation des Bildungsbetriebs. Der JuCo-Studie lässt sich entnehmen, dass die Anzahl der vor Corona aktiven Sportler von 2.040 auf 579 eingebrochen ist. Weniger als die Hälfte der vor Corona bei Musik und Kultur beteiligten Jugendlichen konnte trotz der Krise bei der Stange bleiben, genauso wie in den Bereichen der offenen Jugendarbeit oder des Umwelt-, Natur- und Tierschutzes. Damit sind nicht nur Freizeitangebote weggebrochen, sondern ihr Fehlen führt zu verstärkter seelischer Belastung, bei Mädchen und jungen Frauen sowie besonders bei Intersexuellen mehr als bei den männlichen Befragten.

Aber wie bei der Elternbefragung KiCo zeigt sich in der aktuellen Jugendstudie auch, dass man nicht alles über einen Kamm scheren darf. Es gibt junge Leute, die in der und durch die Krise mehr Zusammenhalt und gegenseitige Fürsorge erlebt haben als vorher. Es gibt die Erfahrung neuer Beschäftigungsmöglichkeiten in Form von Kochen, Sport oder Handwerk. Aber daneben gibt es die Flucht in die Medienwelt oder in den Cannabis-Dunst. „Solidarität in der Pandemie bedeutet auch, mit jungen Menschen die Zukunft zu gestalten“ – so heißt es in der Überschrift zum Schlusskapitel der JuCo-Studie. Ein jugendpolitisches Zukunftsprogramm „mit den jungen Menschen und einer Anerkennung ihres Alltags, ihrer Sorgen, Bedarfe und Visionen“ (S. 42) wäre eine angemessene Zielsetzung – nicht nur für die Politik, sondern eigentlich für uns alle.

*) Sabine Andresen u.a.: Das Leben von jungen Menschen in der Corona-Pandemie, Gütersloh, März 2021 (www.bertelsmann-stiftung.de)


Über den Autor
Detlef Träbert, Diplom-Pädagoge, war 18 Jahre lang Lehrer und arbeitet jetzt als Vortragsreferent, freier Journalist und Autor in Köln (www.schulberatungsservice.de). Er war bis Oktober 2012 Bundesvorsitzender der »Aktion Humane Schule«, hat den Vorsitz 2012 aus beruflichen Gründen niedergelegt. Seit 2016 ist er Ehrenvorsitzender der AHS.


Bild von Orna Wachman auf Pixabay 

 

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