Marlon, das Wunderkind

von Gabriele Frydrych

Bei Youtube gibt es nicht nur diese anrührenden Katzenvideos, sondern auch Sitzgymnastik für Senioren, silikongestopfte Influencerinnen und jede Menge Wunderkinder. Wollen Sie für Ihre künstlerische Laientätigkeit am Klavier wissen, wie ein bestimmter Chopinwalzer klingen muss, geben Sie einfach den Titel im Youtube-Suchfeld ein. Mit Sicherheit ist bei den Pianisten, die jetzt aufploppen, ein kleines japanisches Mädchen dabei oder ein kleiner russischer Junge. Oder umgekehrt. Ungefähr drei, vier Jahre alt, trippelt das Kind zum Flügel. Hat ein Prinzesskleidchen an oder einen winzigen Samtanzug mit Rüschen. Süüüß!
Ein erwachsener Coach hebt das Kind auf den Hocker, stellt die richtige Höhe ein, Kinderbeine baumeln in der Luft – und los geht’s! Chopin, wie Sie ihn vermutlich nie performen werden. Mit winzigen Händen und großem Ernst. … weiter


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Der Zeitgeist und ich

Eine Glosse von Gabriele Frydrych

Ich habe mittlerweile eine Schere im Kopf. Darf ich so eine Glosse überhaupt schreiben? Darf ich mich über Hysterie und bierernsten Fanatismus im Kampf um politische Korrektheit lustig machen? Höre ich bei dieser Einleitung nicht schon die ersten ihre Stifte für den nächsten Leserbrief / Leser:innenbrief / Lesendenbrief wetzen?

Ich will nicht in die Nähe der AfD gerückt werden. Ich will nicht als „alte weiße Frau“ und unsensible Anhängerin von „Zwangsbinarität“ abgekanzelt werden. Zwei Redaktionen werden den Text ohnehin nicht abdrucken, weil sie so eine Art Stillhalte-Abkommen mit ihrer Leserschaft haben. Lieber keine Konflikte im neuen ideologischen Minenfeld. Eine Redaktion wird ihn vielleicht mit entsprechender Fußnote veröffentlichen: „Wir teilen den Standpunkt dieser Glosse nicht! Beschwerden bitte direkt an die Verfasserin!“ Zwei böse alte Cis-Männer werden den Text grinsend abdrucken. … weiter

 

Aus der Welt der Werbung

Eine Glosse von Gabriele Frydrych

Gleich fängt die Tagesschau an. Wie immer spricht vorher jemand über Bauchschmerzen, Krämpfe und Durchfall. Ein kleines Mädchen kräht begeistert: „Papa hat ständig gepupst!“ Papa rät leicht verlegen zu einem wunderbaren Medikament mit japanisch angehauchtem Namen. Das hilft übrigens auch im umgekehrten Fall, wenn überhaupt nichts mehr geht. Diese Werbung erwische ich ständig.

Wenn ich den Fernseher früher einschalte, erfahre ich auch, was man gegen Schwindel, Vergesslichkeit, nächtlichen Harndrang und schmerzende Knie tun kann. Mein Neffe grinst: „Weißt du nicht, dass nur Rentner ARD und ZDF sehen? Denen kann man doch nicht mit Freiheit, Suff und Abenteuer kommen.“ Aha. Der ältere Mensch reibt sich also nur noch jammernd seine Gelenke ein… …weiter

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So viele Experten!

Eine Glosse von Gabriele Frydrych

Der Änderungsschneider lacht, als ich reinkomme. Gefällt ihm meine Tigermaske nicht? Oder findet er meine beschlagenen Brillengläser so witzig? Er meint: „Ihre Maske ist völlig sinnlos. Außerdem sammeln sich darin Bakterien und Schimmelpilze!“ Aha, noch so ein Corona-Experte.

Es beeindruckt mich, wie viele Epidemiologen, Virologen und Spezialisten sich derzeit in unserem Land tummeln. Millionen! Genauso viele Kollegen hat übrigens auch Fußballtrainer Yogi Löw. Aber Fußball lässt sich vielleicht ein wenig einfacher beurteilen als ein neues Virus. … weiter

 

Schwer traumatisiert

von Gabriele Frydrych

Im Feuilleton schreibt ein Journalist von „traumatisierten Jugendlichen“. Sicher meint er Kinder von drogenabhängigen Eltern, von psychisch kranken oder gewalttätigen Eltern. Nein, viel schlimmer: Die zarten Kinderseelen in diesem Artikel wurden in der Schule mit klassischen Dramen gequält. Schillers „Räuber“ und Kleists „Zerbrochener Krug“. Und als der Lehrplan ein Jahr später ein modernes Theaterstück vorschreibt, behandelt die Lehrerin Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“. Ein Stück aus dem Jahre 1956: Da stöhnt die Urgroßmutter hinterm Ofen: „Das hatten wir damals auch schon. Ist das immer noch so langweilig?“

Finn-Levin zitiert im Unterricht triumphierend diesen Ausspruch der Uroma. Die Deutschlehrerin denkt mal wieder resigniert an den großen Aufklärer Lichtenberg: „Ein Buch ist ein Spiegel. Wenn ein Affe hineinsieht, kann kein Apostel herausgucken.“ … weiter


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Botschaften aus dem Unterbewusstsein

von Gabriele Frydrych

Eine Doppelstunde Deutsch in der 9. Klasse. Es hat längst geklingelt. Aber ich finde die vorbereiteten Aufgaben nicht. Ich wühle in den Papierbergen auf meinem Schreibtisch. Alles fliegt durcheinander: Karteikarten, Einkaufszettel, Urlaubsfotos, Hefter, Quittungen, Entschuldigungen.

Ich renne nervös mit dem Grammatikbuch die zwei Kilometer zum Kopierer im Nebengebäude. Am Gerät steht ein Kollege, der eine Freistunde hat und alle Zeit der Welt, seine Materialien für die nächsten Schuljahre herzustellen. Er lässt mir ungnädig den Vortritt. Meine Kopien werden blass und unleserlich. Was soll ich nur zwei Deutschstunden lang machen? Ich hasse Stegreifunterricht.

Ach, ich beginne einfach mit Erörterung. Ich schreibe an die Tafel: „Klassenfahrten sind sinnlose Vergnügungen und stehlen kostbare Unterrichtszeit“. Das regt die Jugendlichen hoffentlich auf und vertreibt schon mal eine ganze Stunde. Wenn ich jetzt nur den richtigen Raum und meine Schüler finden würde! Hinter jeder Tür sitzt ein anderer Kurs und schaut verwundert hoch. … weiter


  zu Gaby Frydrychs Texten, die bisher im Magazin Auswege erschienen sind.

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