Götz Eisenbergs Durchhalteprosa 53: Der Tod im Leben

 

Götz Eisenbergs Durchhalteprosa 53

 

Der Tod im Leben

„achtzig jahre alt werden / und dann aufbrechen / um auf einem Schneefeld / unter dem allalinhorn einzuschlafen / wäre der schönste tod / stattdessen krepiert man / irgendwo / an irgendetwas // na man kann schließlich nicht / alles haben // und geschenkt kriegt man / nichts // das allalinhorn schon gar nicht.“
(Alfred Andersch)

Us Schwester liegt im Sterben und quält sich auf der Palliativstation des Krankenhauses von L aus dem Leben. Erst quält man sich hinein, dann hindurch und dann wieder hinaus. U hatte die letzte Woche Corona, hat sich nun aber freitesten können und darf also wieder zu ihr. Renate, so heißt die Schwester, hatte kein leichtes Leben. Sie kam mit einer körperlichen Behinderung zur Welt und hat ihr halbes Leben im Rollstuhl verbracht. Dann litt sie unter einem Vater, der in ihren Behinderung eine Kritik an seiner Männlichkeit und der Qualität seines Spermas sah. U litt unter demselben Nazi-Vater, konnte sich ihm aber eher entziehen.  Es – oder er – war aber auch für sie schlimm genug.

Eigenartiger Weise ging es nach dem Tod dieses Vaters mit Renate rapide bergab. Auf eine geheimnisvolle und maligne Weise scheinen die beiden doch eine Art Bindung gehabt zu haben. Die gröbsten Beleidigungen sind letztlich besser als gar keine Anerkennung. … weiter

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Götz Eisenbergs Durchhalteprosa 36: Lob der Höflichkeit

 

Götz Eisenbergs Durchhalteprosa 36

 

Lob der Höflichkeit

Im Jahre 1937 starb John D. Rockefeller, der König des Erdöls, Gründer der Standard Oil Company. Fast ein Jahrhundert lang hatte er gelebt. Bei seiner Autopsie fand man keinen einzigen Skrupel.“
(Eduardo Galeano)

In seinen Erinnerungen erzählt Art Garfunkel von einem Erlebnis auf einer seiner zahllosen Tourneen. Er sollte in einem Theater auftreten, und man bat ihn, mit dem Beginn auf die Ankunft einer lokalen Berühmtheit zu warten. Irgendwann taten ihm die Zuschauer leid und er begann mit seinem Programm. Irgendwann erschien auch der berühmte Mann, um dessentwillen sie den Beginn hinausgezögert hatten. Der Mann nahte mit seiner Aufmerksamkeit garantierenden Verspätung durch den Mittelgang und nahm auf seinem reservierten Platz in der ersten Reihe Platz.

„Der Mann, für den wir den Konzertbeginn hinausgezögert haben, ist ein moderner Mann. Er sitzt drei Meter vor mir. Und während des zweiten Songs beginnt er zu simsen! Die Regeln von heute bringen mich aus der Fassung: Glauben die Handytelefonierer, sie seien von einem Vorhang umgeben? Soll ich in der Kulisse des simsenden Lebens verschwinden? … weiter

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