Götz Eisenbergs Durchhalteprosa 35: Versuch über „Herdendummheit“

 

Götz Eisenbergs Durchhalteprosa 35

 

Versuch über „Herdendummheit“

Schreibend gab ich mir einen Halt, wie Bergsteiger Eisenringe in den Felsen schlagen, um sich vor dem Absturz zu sichern, vor allem aber, um sich abseilen zu können. Dank meines Tagebuchs würde ich mich zu jeder beliebigen Zeit meines Lebens abseilen können.“
(Ingo Schulze: Tasso im Irrenhaus)

Gestern sah ich unseren Briefträger vorn an der Ampel. Er war Richtung Bahnhof unterwegs. Ich grüßte ihn und fragte, eigentlich eher scherzhaft gemeint, ob er mir heute etwas in meinen Briefkasten geworfen habe. „Ja, einen DIN-A4-Umschlag“ „Wahrscheinlich vom Freitag in Berlin“, sagte ich. „So genau hab ich nun doch nicht hingeschaut“, erwiderte er lächelnd. Ein Briefträger, wie er sein soll, einer, der seine Kundschaft mit Namen kennt. Zwischenzeitlich hatten wir Jahre lang angelernte Zusteller, für die der Begriff Briefträger nicht mehr passt. Manche schienen der deutschen Sprache nicht mächtig zu sein oder konnten nicht richtig lesen, denn sie warfen die Post einfach in irgendeinen Briefkasten und überließen die Verteilung dem Besitzer dieses Briefkastens.

Mein Urbild des Briefträgers ist ein gemütlicher Mann, der noch Postbeamter war und eine richtige blaue Uniform mit dazugehöriger Mütze trug. Er ging seinem Beruf noch mit einer Umhängetasche nach und sprach mich stets mit Herr Doktor an. Das war ihm partout nicht auszureden. Als ich ihm einmal in der Sauna begegnete, war ihm das extrem unangenehm – so nackt und ohne Uniform. Wir taten in der Folgezeit so, als hätte es diese Begegnung nicht gegeben…. weiter

Clipart oben links von OpenClipart-Vectors auf Pixabay
Bild von Free-Photos auf Pixabay


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