Immer mehr Lehrkräfte krank: Arbeits- und Gesundheitsschutz an Schulen mangelhaft!
Mitteilung: GEW Bayern
„Gefühlt haben wir das in der Personalvertretung schon länger. Jetzt wird das durch die Forsa-Umfrage des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) bestätigt. Immer mehr Lehrkräfte erkranken langfristig. In den Schulen fehlen angemessene Strukturen zum Arbeits- und Gesundheitschutz. Gefährdungen gehören ermittelt und entsprechende Maßnahmen auf den Weg gebracht. Bislang sind hier Schulleitungen in der Verantwortung. Das muss sich ändern“, sagt Florian Kohl, stellvertretender Vorsitzender der GEW Bayern und Mitglied im Hauptpersonalrat.
Die repräsentative Forsa-Umfrage „Gesundheit von Lehrkräften“ kommt zu einem alarmierenden Ergebnis: 60 Prozent der Schulleitungen verzeichnen einen Anstieg langfristiger Erkrankungen der Kolleg*innen. Im Vergleich zu den Befragungen von 2019 und 2021 haben die Zahlen deutlich zugelegt.
„Die Belastungen der Lehrkräfte sind in den letzten Jahren gestiegen. Immer wieder kommen neue Aufgaben dazu: Flüchtlingskinder auffangen, Coronadefizite aufarbeiten, die Digitalisierung vorantreiben, das Recht auf Inklusion umsetzen, die schlechten PISA-Ergebnisse kompensieren, und alles unter personell unzureichenden Arbeitsbedingungen, weil wir an einem beispiellosen Lehrkräftemangel leiden. Es ist nur logisch, dass das zu mehr Überlastung und Krankheit führt“, ist sich Ruth Brenner, ebenfalls Mitglied im Hauptpersonalrat, sicher. Sie vermisst ein systematisches Vorgehen des bayerischen Kultusministeriums. „Das Arbeitsschutzgesetz schreibt ein eindeutiges Verfahren vor. Jeder Arbeitgeber hat die Aufgabe, die gesundheitlichen Gefährdungen seiner Beschäftigten zu ermitteln. Dafür gibt es das Instrument der Gefährdungsbeurteilung. In der freien Wirtschaft kennt man das. Entsprechend geschulte Ingenieure und Betriebsärzte ermitteln die Gefahren und es erfolgen entsprechende betriebstechnische oder organisatorische Maßnahmen, damit jeder gut arbeiten kann. In der Schule fehlen diese Verfahren und entsprechende Expertise“, kritisiert Brenner.
In Bayern haben die Schulleitungen die Aufgabe, Maßnahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu organisieren. Sie sind verantwortlich für die Durchführung und Fortführung von Gefährdungsbeurteilungen und haben dabei mit den Personalvertretungen zusammenzuarbeiten. Außerdem müssen sie gesetzlich vorgeschriebene Präventionsmaßnahmen wie das Betriebliche Eingliederungsmanagement durchführen, um eine vorzeitige Versetzung in den Ruhestand zu verhindern. Erkrankt eine Lehrkraft und besteht der Verdacht, dass die Erkrankung mit den Arbeitsbedingungen zusammenhängt, hat sie das Recht, sich betriebsärztlich untersuchen zu lassen.
„In der Praxis funktioniert erfahrungsgemäß wenig davon gut. Ich habe seit Beginn meiner Tätigkeit als Personalrat noch kein Ergebnis einer Gefährdungsbeurteilung gesehen, geschweige denn eine Fortführung konstruktiv begleiten können“, sagt Florian Kohl. Für ihn ist vor allem die psychische Belastung der Lehrkräfte ausschlaggebend: „In einem Beruf, in dem man von 7.30 Uhr bis 13 Uhr und oftmals darüber hinaus permanent unter höchster Anspannung steht, keine Pausen machen kann und jeden Tag über 1.000 Entscheidungen treffen und 75 erzieherische Konflikte lösen muss, ist die psychische Belastung extrem hoch. Der wissenschaftliche Begriff des Crowdings ist hier zu erwähnen. Man ist permanent unter vielen Menschen und damit auch vielen Reizen ausgesetzt, die psychische, physische und geistige Arbeit erfordern.“ Es sei ein Unding, dass die Ermittlung dieser Gefährdungen nicht längst Standard ist.
„Schulleitungen sind hier die falschen Ansprechpartner. Sie können die Aufgaben des Arbeits- und Gesundheitsschutzes nicht nebenbei erledigen. Das merken wir vor allem jetzt, da die Anforderungen höher werden und die Berufsgruppe der Schulleitungen ja selbst hochgradig belastet ist. Bayern hat in Richtlinien geregelt, dass Lehrkräfte keinen Anspruch auf Betriebsärzte oder Ingenieure brauchen. Möglich macht das die Einordnung in den ‚Bürobereich‘ und die damit verbundene, geringe gesundheitliche Gefährdung der Lehrkräfte. Diese Einordnung ist angesichts der realen gesundheitlichen Gefährdung absurd, aber man spart damit natürlich sehr viel Geld – auf Kosten der Gesundheit der Lehrkräfte“, kritisiert Florian Kohl, der sich seit vielen Jahren für einen besseren Arbeits- und Gesundheitsschutz an Schulen einsetzt.
Laut Kohl gäbe es am Arbeitsmedizinischen Institut für Schulen (AMIS) zwar Fachkräfte, die den Schulleitungen beratend zur Seite stehen würden, aber das reiche bei Weitem nicht aus. „Wir müssen weg vom blinden Aktionismus. Wir brauchen Fachkräfte für Arbeitssicherheit und betriebsärztliche Versorgung direkt an den Schulen, die die Gefährdungen wie vorgeschrieben kompetent ermitteln. Vor allem die psychische Belastung muss man in den Blick nehmen. Nur so kann man auch entsprechende Maßnahmen gemeinsam mit der Personalvertretung sinnvoll koordinieren“, betont Florian Kohl.
„Lehrkräfte tragen eine unglaubliche Verantwortung für die Kinder dieser Gesellschaft. Sie brauchen deshalb gute Arbeitsbedingungen, und ein guter Arbeits- und Gesundheitsschutz muss dafür die Grundlage sein.“ Da sind sich Ruth Brenner und Florian Kohl einig.
11.4.2024
GEW Bayern
www.gew-bvayern.de