Götz Eisenbergs Durchhalteprosa 25: Tage der Kommune

 

Götz Eisenbergs Durchhalteprosa 25

 

Tage der Kommune

„Für den Revolutionär ist die Welt schon immer reif gewesen. Was im Rückblick als Vorstufe, als unreife Verhältnisse erscheint, galt ihm einmal als letzte Chance der Veränderung. Er ist mit den Verzweifelten, die ein Urteil zum Richtplatz schickt, nicht mit denen, die Zeit haben.“
(Max Horkheimer)

Beim Blättern in der Literaturbeilage der FAZ vom Samstag, dem 13. März, stieß ich auf das Portrait einer Frau, das mich sofort gefangen nahm. Die abgebildete Frau trägt ein schlichtes Kleid mit langen Ärmeln, das bis zum Hals zugeknöpft ist. Da es sich um eine Schwarzweißfotografie handelt, kann man nicht wissen, welche Farbe das Kleid hat. Wahrscheinlich ist es blau oder grau. Die Frau sitzt sehr gerade auf einem hölzernen Stuhl und blickt ernst in die Kamera. Sie dürfte ungefähr fünfunddreißig Jahre alt sein, hat sich aber etwas Jugendliches, fast Kindliches bewahrt. Ihr Haar ist ein wenig schütter und strähnig und in der Mitte gescheitelt. Es fällt ihr bis auf die Schultern. Sie hat es für die Fotografie nicht nicht eigens hergerichtet. Ihr Äußeres scheint ihr nicht so wichtig. Sie hält die Arme vor dem Bauch gekreuzt, der linke Ellenbogen ruht in ihrer rechten Hand. Was den Betrachter in Bann schlägt, sind ihre Augen, die wach, lebendig und offen auf den Fotografen und nun auf den Betrachter des Fotos gerichtet sind. Die Frau auf dem Bild strahlt eine enorme Würde aus. … weiter

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Götz Eisenbergs Durchhalteprosa 22: Frierende Stachelschweine

 

Götz Eisenbergs Durchhalteprosa 22

 

Frierende Stachelschweine

Diese Unglücksmenschen kommen aus ihrem Unglück
niemals heraus, sagte ich mir und meinte mich.“
(Thomas Bernhard)

Bei einem schweren Autounfall am späten Dienstagabend in Berlin sind zwei junge Männer am Ende einer Raserei ums Leben gekommen. Eine Person starb noch an der Unfallstelle, eine weitere in der Nacht zu Mittwoch im Krankenhaus. Ein dritter Insasse des Wagens liegt mir schweren Verletzungen im Krankenhaus. Der vierte Insasse erlitt nach bisherigen Informationen keine schwere Verletzungen. Nach Ermittlungen der Polizei handelt es sich um den Fahrer des Audi-Sportwagens. Alle vier Männer waren zwischen 19 und 21 Jahren alt und stammen laut Berliner Morgenpost aus dem Libanon. Der Unfall ereignete sich in einem Tempo-30-Bereich. Durch die Wucht des Unfalls und den Aufprall auf einen Baucontainer wurde das Auto in zwei Teile gerissen, die Insassen wurden auf den Gehweg geschleudert, Trümmer flogen 100 Meter weit. Die Fahrzeughälften brannten aus. In der nächsten Ausgabe des in Wien erscheinenden Magazins Streifzüge werde ich mich unter dem Titel Lackierte Kampfhunde nochmal ausführlicher und grundsätzlicher zum Thema Automobil, Raserei und Männlichkeit äußern. … weiter

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Götz Eisenbergs Durchhalteprosa 18: Weihnachten: Eine sinnentleerte Orgie des Konsums

 

Götz Eisenbergs Durchhalteprosa 18

Weihnachten: Eine sinnentleerte Orgie des Konsums

„Worauf sollen wir noch hoffen? …“
(Sandor Márai)

„Und selbst wenn wir noch keine Änderung sehen,
müssen wir weitermachen; müssen wir widerstehen,
wenn wir noch als Menschen leben, arbeiten
und glücklich sein wollen. Im Bündnis
mit dem System können wir das nicht mehr.“
(Herbert Marcuse)

In der Nacht ist der erste Schnee gefallen. Ich spürte es bereits bei noch geschlossenen Vorhängen an dem gedämpften Geräuschpegel der Stadt. Unweigerlich stiegen Kindheitserinnerungen an die Tage des ersten Schnees auf. Jubelnd stürmten wir in den Garten und bewarfen uns mit Schneebällen. Schnee lag in meinen Kindheitserinnerungen von Dezember bis Ende Februar, manchmal bis Mitte März.

Morgens zogen wir los mit Schlitten, Skiern oder Schlittschuhen. Die Schlittschuhe trugen wir an einem Lederriemen um den Hals. Man schraubte sie, wenn man die Eisfläche erreicht hatte, mit einem Vierkantschlüssel an den Schuhsohlen fest. Beim Schlittschuhlaufen bin ich einmal auf dem Lac unterhalb des Schlosses Wilhelmshöhe in Kassel böse gestürzt und mit dem Knie gegen eine aus dem Eis ragende Wurzel gekracht. Tage später suchte meine Stiefmutter mit mir einen Orthopäden auf. Das wollte etwas heißen, denn so ohne Weiteres suchte man damals keinen Arzt auf. Es war glücklicherweise nichts gebrochen. Aber dieser Winter war für mich vorüber. … weiter

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Foto oben rechts: Helene Souza  / pixelio.de


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